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Schneckle im Elchtest

Schneckle im Elchtest

Titel: Schneckle im Elchtest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Ruehle
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seine Pranke hin.
    Wohlerzogen, wie ich war, erhob ich mich und schob ihn ihm hin, auch wenn wir nicht in der U-Bahn und der Kerl höchstens fünfundzwanzig Jahre älter als ich war.
    »Gern geschehen«, motzte ich noch, als der Dank ausblieb.
    Kein Wunder, dass das ein Freund von Edith war.
    Ich schlich mich mit meinem Teller zum gegenüberliegenden Teil des Raumes, schnappte mir einen neuen Stuhl und beobachtete den Mucke-Fuzzi. Meinen Stuhl hatte er zum Ablegen seiner Jacke gebraucht. Super. Einen Moment lang fummelte er fluchend an einem Kabelknäuel herum, dann war er zufrieden mit dem Aufbau. Er schaltete sein Mikrophon sowie sein Keyboard an und beglückte den Raum mit einem ohrenbetäubenden Fiepton, den nur Martina nicht hörte. Ein echter Profi eben.
    Ohne jede Ankündigung haute er dann in die Tasten – beziehungsweise drückte er eine vorprogrammierte Taste und schmetterte: »Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt ...« Dass ich spontan auch lieber auf Capri gewesen wäre, lag allerdings nicht nur an dem grauenvollen Gesang.
    Kurt spazierte gelassen zu mir herüber und meinte: »Na, hatte ich zu viel versprochen?«
    »Ich kann’s nicht glauben«, stammelte ich. »Der meint das ganz ernst, oder? Und Edith wusste sogar, was da auf uns alle zukommen wird. Kriegt der Mensch vielleicht auch noch Geld dafür, dass er uns den Abend versaut?«
    »Ich rate dir dringend, deinen Alkoholpegel schnell zu erhöhen. Wahrscheinlich ist er der Erste Vorsitzende eines subversiven Spirituosenhändler-Syndikats und schraubt dessen Verkaufszahlen mit seinen musikalischen Darbietungen in schwindelerregende Höhen. Da braucht er für seinen Auftritt keine zusätzliche Bezahlung, die bekommt er von Edith sowieso nicht. Er isst und wohnt dafür ein paar Tage lang kostenlos im Zimmer der Zwillinge, die ab sofort ein Matratzenlager in Britt und Ankes Zimmer haben – er kann sich sonst keinen Urlaub leisten.«
    »Uiuiui. Und die Mädels müssen es büßen. Die zusammengeballte Ladung Backfisch möchte ich ungern miterleben«, sagte ich schaudernd. »Wird das ein wissenschaftliches Experiment?«
    Kurt winkte ab. »Edith meinte, die würden sich schon irgendwie zusammenraufen. Außerdem sei es nur für eine Nacht, weil morgen doch einige abfahren, sobald der Promillepegel wieder vertretbare Ausmaße angenommen hat.«
    Ich nickte eifrig. »Ja, wir zum Beispiel. Steve hat ein Einsehen ...«
    Kurt strahlte: »Herzlichen Glückwunsch! Wenn du die Zeit bisher durchgehalten hast, wirst du das sicher auch weiter tun. Ich drücke dir auf alle Fälle die Daumen, dass dein Einfluss den einen oder anderen Erziehungsfehler glattbügeln kann. Wir werden uns in Zukunft dann wohl hin und wieder über den Weg laufen. Bei einer von Hartmuts Hochzeiten oder der Taufe einer der Pillenaussetzer meiner Enkelinnen ...«
    »Ach, da fällt mir ein«, unterbrach ich ihn, »wo sind die beiden eigentlich? Ich habe sie, seitdem wir hier sind, noch gar nicht kennen gelernt. Neugierig wäre ich ja schon ...«
    »Glaub mir«, erklärte Kurt, »da hast du nichts verpasst.«
    Bevor ich mich der Form halber über Kurts mangelnde Großvatergefühle auslassen konnte, torkelte wie aufs Stichwort Hartmut mit einer Gitarre in der Hand in die Mitte des Raumes, die zu einem späteren Zeitpunkt als Tanzfläche dienen sollte.
    »Liebe Anwesende, liebes Edithchen!«, brüllte er und klatschte ein paar Mal in die Hände.
    Der Alleinunterhalter würgte sein Keyboard ab, die Gespräche verstummten. Keiner wollte sich diesen Auftritt entgehen lassen.
    »Sur Feier diesess Tages möchte ich meiner lieben Tochter mit einer avanggardisisch-künslerischen Performance an die Kreativität erinnern, die ich ihr in die Wiege gelegt habe. Und siiiingen werde ich auch, um sie daran su erinnern, dass sie ihren Namen einer Frau su verdangn hat, die auch wirklich singen konnte«, lallte er und schrammelte ein paar Mal wild über die Gitarrensaiten.
    »Kann es sein, dass er die Gitarre falsch herum hält?«, flüsterte ich Kurt hinter vorgehaltener Hand zu.
    Der nickte nur und lächelte in sich hinein.
    »Aha. Dann ist das sicher das Avantgardistische an seiner kleinen Nummer«, meinte ich trocken.
    Hartmut reimte derweil wild und nuschelnd drauflos: »Ein Kind,
mein
Kind, ein Rind, der Wind, der Wind.«
    Mein Bedarf an Fremdschämen war auf einen Schlag für mindestens ein Jahr gedeckt. So lange würde ich keine Privatsender mehr einschalten. Und sollte ich doch in Versuchung geraten,

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