Schneckle im Elchtest
ein und aus. Trotz der gewaltigen Alkoholmengen, die ich zum reinen Selbstschutz in mich hineingeschüttet hatte, war ich so klar im Kopf wie seit vielen Wochen nicht mehr. Es blieb mir jetzt nur noch eins zu tun: Zu klären, wie ich nach Hause kam, und mich für alle Zeiten von der unvergleichlichen Labskaus-Familie zu verabschieden.
»Wenn du deinen Verlobten suchst – der vergreift sich gerade an einer der Kicherliesen. Dort hinten in der Scheune«, raunte mir jemand ins Ohr.
Ich drehte mich von der Neuigkeit kaum erstaunt um und staunte dann doch: Vor mir stand – der Nöck.
»Du?«, war alles, was ich herausbekam.
»Wer sonst. Ich glaube nicht, dass außer mir noch jemand in vollständigen Sätzen reden kann«, schoss er zurück.
»Gibt’s dich jetzt wirklich? Die anderen behaupten, sie könnten dich nicht sehen.«
Der Nöck lachte. »Tja, du kannst mich ja sehen, oder? Wenn es dich beruhigt: Es gibt mich. Tut mir leid, wenn ich mich noch nicht vorgestellt habe: Ich bin Bruce.«
»Ahhh ...«, machte ich etwas ratlos und kratzte mich am Kopf. Irgendetwas klingelte in meinem Oberstübchen. Wo hatte ich den Namen schon mal gehört? »Ach, Hartmut hat etwas von einem Bruce erzählt ...«, fiel mir da ein.
Bruce nickte. »Ja, kann sein. Wenn er mich auch am liebsten verschweigt. Ich bin Ediths, Joes und Steves kleiner Bruder – also altersmäßig«, grinste er.
»Ja, aber wieso warst du dann nicht bei der Feier? Als Ediths Bruder? Und wieso hast du dich seit einer Woche vor allen versteckt? Kurt und Kerschdin wissen gar nicht, dass es dich überhaupt gibt!«
»Natürlich nicht. Ich bin das schwarze Schaf der Familie. Das dunkle Geheimnis, wenn du so willst.«
»Aber wieso? Du scheinst mir im Gegenteil der einzig Normale zu sein! Sie sollten froh und stolz sein, dass ihre Familie nicht komplett wahnsinnig ist! Und du solltest ebenfalls stolz darauf sein und dich nicht verstecken!«, empörte ich mich.
Bruce grinste mich ironisch an. »Vielleicht drehst du die ganze Sache einmal um?« Er lehnte sich grinsend an einen Bretterstapel. »Erstens bin ich für die anderen Labskausens tatsächlich eine Schande – jedenfalls aus ihrem Blickwinkel. Ich bin nämlich Beamter. Bei der Steuerbehörde, genau genommen. Zweitens bin ich nur hier, um meiner Mutter, Veronika, einen Gefallen zu tun.«
»Veronika? Hat Hartmuts ›Ma‹-Tick da vorübergehend ausgesetzt?«, fragte ich entgeistert.
Bruce grinste. »Sie hat nur eine einzige Nacht mit ihm verbracht und dann zugesehen, dass sie Land gewinnt. Heute ist sie übrigens sehr glücklich verheiratet. Und Hartmut, mit dem sie nur den Kontakt gehalten hat, damit ich meinen Erzeuger kenne, tut ihr leid. Deshalb hat sie mich auch hierhergeschickt. Damit ich ein bisschen auf ihn aufpassen kann. Und so habe ich mich mit einem Stapel Bücher, meinem Laptop und einer Kiste Fressalien auf dem Dachboden eingerichtet und hin und wieder den betrunkenen Hartmut aufgesammelt. Ich glaube tatsächlich, dass mich außer dir dabei keiner im Haus gesehen hat. Und damit kommen wir zu Punkt Nummer drei: Ich
wollte
nicht, dass mich jemand sieht. Auch meine Geschwister nicht. Morgen packe ich Hartmut und Martha ins Auto und fahre sie zurück in ihr armseliges kleines Häuschen, wo sie sich und allen anderen möglichst wenig Schaden zufügen können. Das war’s dann.«
Ich stand nur stumm da und staunte darüber, wie verkorkst eine Familie sein konnte.
Bruce holte mich zurück in die Gegenwart: »Hattest du nicht etwas vergessen? Deinen Holden und dessen jugendliche ›Gespielin‹ zum Beispiel? Wenn du ihn nicht zurückpfeifst, muss ich es nämlich tun. Schließlich ist das Mädel erst fünfzehn und volltrunken. Das ist strafbar.«
Ich nickte. »In Ordnung. Danke, Bruce. Wir werden uns sicher nicht wiedersehen. Aber wenn es dich tröstet: Du bist der Einzige in der ganzen Familie, den ich vielleicht gerne wiedergesehen hätte.«
»Danke gleichfalls«, grinste Bruce. »Und gute Heimfahrt. Ich würde dir ja anbieten, mit uns zu fahren. Aber dann müsstest du noch zwei Tage mit deinen Ex-Fast-Schwieger- Tigern verbringen. Und das kann dir niemand zumuten.«
»Da hast du recht«, sagte ich grimmig. »Ich komme schon zurück, mach dir um mich keine Sorgen.«
Seufzend machte ich mich auf den Weg, die wahrscheinlich ohnehin schon lange verlorene Keuschheit von Paulapetra zu retten – und Steve wegen seiner jüngsten Schandtat zur Rede zu stellen. Über die nasse Wiese stapfte ich zu
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