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Schnee an der Riviera

Schnee an der Riviera

Titel: Schnee an der Riviera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Cerrato
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tot. Wer wird denn nun Michele den Vater ersetzen, der hatte ihn doch so gern? Wir hatten so viele Pläne ...«
    Emilietta begann wieder zu weinen.
    »Wer ist Michele?«
    »Mein Sohn. Er ist drei.«
    Und weiteres Schluchzen. Mittlerweile waren der Gerichtsmediziner (diesmal nicht Parodi, sondern ein bleicher, unsicher wirkender junger Mann, den Nelly noch nie gesehen hatte) und die Spurensicherung gekommen. Stinksauer, weil Samstag Nachmittag war, fragte Celsi lauthals, ob die Leute, wenn sie sich schon unbedingt erschießen mussten, nicht wenigstens bis Montag warten konnten.
    Nelly deutete mit dem Kopf auf die junge Frau, die sich umgedreht hatte und ihn entsetzt anstarrte, die Wangen noch tränenfeucht, und er verstummte. Während alle ihre Arbeit machten und man auf den stellvertretenden Staatsanwalt wartete, ging Nelly mit Emilietta zum Nachbarhaus. Vielleicht hatten Rosalba und ihr Mann ja bemerkt, um wie viel Uhr der Geländewagen gekommen war. Nelly ließ ihr ein wenig Zeit, das erste Entsetzen über die Nachricht vom Tod des Nachbarn zu überwinden, dann begann sie mit der Befragung.
    »Signora, haben Sie einen schwarzen Geländewagen kommen sehen?«
    »Tut mir leid, aber gestern Abend waren wir nicht da. Wir sind runter nach Gattorna in den Pub gefahren, und dann haben wir im Dorf bei meiner Mutter übernachtet.«
    Rosalba war klein und brünett, eine hübsche, lebhafte Frau. Sie hatte zwei reizende Grübchen, und ihre Augen sprangen flink zwischen Nelly, Emiliettas vom Weinen verquollenem Gesicht und dem stummen Assistenten mit der Sonnenbrille hin und her. Ihr Ehemann, ein großer, massiger junger Kerl, sah sie dagegen verdattert an.
    »Gian tot? Was für ein Geländewagen? Selbstmord? Mord? Mia, belin, cose de l’atru mundu , so was gibt’s hier doch gar nicht!«
    »Um wie viel Uhr sind wir heute Morgen zurückgekommen, Schatz?«
    Der »Schatz« sah seine Frau mit immer tumberer Miene an.
    »Gegen zwölf, glaube ich. Ich habe keinen Geländewagen gesehen. Mir ist nichts aufgefallen.«
    »Mir schon«, trumpfte Rosalba auf. »Ich habe ihn gesehen, als wir kamen, er parkte neben dem Haus. Die Hunde bellten wie verrückt. Kurz darauf kam Emi, und wir haben noch darüber gesprochen. Sie hat mich auch gefragt, wann die gekommen sind. Aber ich konnte es ihr nicht sagen. Und außer uns wohnt hier niemand.«
    »Haben Sie die Schüsse gehört?«
    »Hier wird immer geschossen. Die Jäger richten die Hunde ab, lassen sie laufen, gewöhnen sie an die Gewehrschüsse. Vor allem am Wochenende. Wer kümmert sich da noch um Schüsse?«
    »Die Hunde, o Gott, die müssen Hunger haben!«
    Emilietta, genannt Emi, schien aus der Lethargie zu erwachen, in die sie versunken war, und wollte nach draußen zu dem Hundegehege laufen. Einfach etwas zu tun, etwas Alltägliches, schien ihr ein letzter Halt, ein Rettungsanker. Nelly erinnerte sich, wie wichtig es für sie gewesen war, zu waschen und zu bügeln, mit Mau spazierenzugehen, zu kochen und langsam und konzentriert den täglichen Verrichtungen nachzugehen, als Roberto ermordet worden war. Sie hatte sich wie in Zeitlupe bewegt, jeder Geste eine fast rituelle Bedeutung verliehen, sich so sehr auf ihr Tun konzentriert, dass sie nicht nachdenken musste. Später hatte sie irgendwo gelesen, dass das eine buddhistische Meditationstechnik war, eine Methode, den Augenblick in totaler Intensität zu leben. Keine Vergangenheit, keine Zukunft. Nur die Gegenwart, wahrgenommen mit allen Sinnen.
    »Noch ein paar Fragen, dann können Sie sich den Hunden widmen, Emilietta. Die Schüler vom Gymnasium, waren die häufig bei Gian zu Besuch?«
    »Die Schüler?« Emilietta sah die Kommissarin unsicher an. Was hatten die Schüler damit zu tun? Sie runzelte nachdenklich die Stirn.
    »Ja, da kamen manchmal Schüler, ich sagte Ihnen ja, dass er sehr beliebt war. Hin und wieder. Einer oder zwei, oder drei, oder eine kleine Gruppe. Sie waren nett, sympathisch, sie lachten und waren immer gut drauf. Ich wäre auch gerne auf diesen künstlerischen Schulzweig gegangen, aber mein Vater wollte das nicht.«
    Nelly zog das Foto mit den Jugendlichen aus der Tasche und zeigte es ihr: »Können Sie sich erinnern, diese Jugendlichen hier bei Gian gesehen zu haben, Emilietta?«
    Emilietta seufzte und zwang sich, das Bild anzusehen. Es schien sie große Überwindung zu kosten.
    »Ich glaube schon, vor allem an den Dunkelhaarigen hier erinnere ich mich, so ein Hübscher! Bei ihr«, sie wies auf Monica, »habe ich

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