Schnee an der Riviera
Schuppen. Weiter hinten, links der Straße, führte ein Weg zu einer kleinen Anhöhe; dort oben, mit der Wiese von dem Foto davor, stand das frisch renovierte Wohnhaus von Giovanni Caprile.
Immer noch auf den unbekannten Rowdy schimpfend, gingen Nelly und die zwei Männer zu dem Haus hinauf. Seitlich war Wäsche zum Trocknen in der Sonne aufgehängt, überall standen Geranientöpfe und Sträucher von Pfingstrosen und Hortensien. Auf der anderen Seite des Hauses sah man den kunstgerecht angelegten Gemüsegarten. Die Saubohnen blühten, die Zucchini sprossen schon, und auch die Tomatenpflänzchen waren bereits an die Stangen gebunden, die ihnen den ganzen Sommer über Halt geben würden. Auf dem Rasen vor dem Haus hatte sich jemand in einem Liegestuhl gesonnt. Als sie näher kamen, erklang Hundegebell. Die drei verstummten. Nelly bedeutete Gerolamo, in der einen Richtung das Haus zu umrunden, während sie und Carlo andersherum gingen. Sie trafen sich hinter dem Haus, wo ein Schottervorplatz zu einer Garage führte. Neben der Garage gab es ein Gehege mit drei oder vier Jagdhunden.
Das Gebell wurde noch lauter und wütender, sobald die Hunde die Besucher erblickten. Doch niemand trat aus dem Haus, um nachzusehen, wer gekommen war. Gerolamo deutete auf die Hintertür, Nelly ging nach vorne und klingelte. Nichts rührte sich. Es lag eine merkwürdige Spannung in der Luft, erwartungsvoll, leer.
»Vielleicht war das Gian in dem schwarzen Geländewagen. Aber warum hatte er es so verteufelt eilig? Schluss jetzt, wir gehen rein«, entschied Nelly.
»Einfach so?«, fragte Gerolamo erstaunt.
»Wenn du Bedenken hast, bleib draußen. Ich übernehme die Verantwortung.«
»Aber Dottoressa ...«, sagte er nur beleidigt.
Zum Glück mussten sie die Tür nicht aufbrechen: Sie war nur angelehnt. Das Erdgeschoss bestand aus einem kleinen Flur und einem großen Wohnzimmer rechts, wo ein Tresen die ländlich gehaltene Küche vom Rest des Raumes trennte. So weit man sehen konnte, war sie ganz neu eingerichtet, mit den modernsten Haushaltsgeräten. Im Flur ging eine Tür zu einer Toilette ab und eine Treppe führte nach oben.
»Signor Caprile? Gian ... Ist jemand zu Hause?«
Gerolamo zog aus reiner Gewohnheit seine Pistole, instinktiv tat Nelly es ihm gleich und bedeutete Carlo, auf der Schwelle zu warten. Ihr Assistent schlich schnell und leise die Stufen hinauf, während Nelly, die das Gästeklo kontrolliert hatte, ins Wohnzimmer trat. Ein merkwürdiger Geruch lag in der Luft, den sie nur zu gut kannte: der Geruch nach Kordit. Hier war geschossen worden, vor kurzem. Die Möbel waren allesamt aus Holz, schwer und rustikal, so wie man sie in den Fabriken des Tals herstellte. Ein bequemes Ledersofa, ein neuer Fernseher, ein Ständer mit Gewehren zur Wildschweinjagd, an den Wänden Bilder zweifelhaften Geschmacks. Während sie langsam weiterging, registrierte sie automatisch alle Einzelheiten. Als sie den Küchenbereich betrat, der vom Wohnzimmer aus nicht einsehbar war, stolperte Nelly und musste am Tresen nach Halt suchen: Das, worüber sie gestolpert war, war Giovanni Capriles Arm.
Der Hausmeister saß breitbeinig auf dem Boden, den Oberkörper an den Tresen gelehnt. Zumindest nahm Nelly an, dass es sich um Gian handelte, denn sein Gesicht war durch den Schuss unkenntlich geworden. Der Mann hielt das Gewehr noch in der Hand, dessen Lauf auf sein Kinn gerichtet war. Oder besser gesagt auf das, was einmal sein Kinn gewesen war. Es war kein Jagdgewehr. Drumherum Fetzen von Gehirn, Knochen und Blut. Carlo, der ihr gefolgt war, unterdrückte einen Schrei. Nellys Blick eilte sofort zu dem Waffenständer, in dem kein Platz frei war.
»Ach du Schande, er hat sich erschossen!«, brachte Carlo endlich hervor, der wie gelähmt auf das Szenario starrte.
»Sieht ganz so aus«, erwiderte sie, wenig überzeugt, und betrachtete aufmerksam die Leiche und vor allem die Waffe. Ein Präzisionsgewehr, neueres Modell.
»Oben ist keiner, aber hier riecht es ja ...« Gerolamo betrat argwöhnisch schnüffelnd das Wohnzimmer. Er öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen, schloss ihn aber sofort wieder, als er Carlo sah, der schweigend mit dem Finger auf etwas deutete. Mit wenigen Schritten war er bei Nelly, die sich inzwischen über den Toten gebeugt hatte.
Ein paar Minuten betrachtete er das Bild, das sich ihm bot, dann sagte er: »Und drei. Damit wäre die alte Regel mal wieder bestätigt.«
Die anderen sahen ihn stumm an.
»Oben finden sich
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