Schnee an der Riviera
ihr so geholfen, als sie sich von ihrem Mann getrennt hatte.
»Einen wie ihn gibt’s kein zweites Mal, er dachte nur an die Arbeit und an das Haus, wir wollten heiraten ... Warum hat er das nur getan? Ich kann gar nicht glauben, dass er sich umgebracht hat, nicht er.«
»Hatte er Freunde, Feinde?«, fragte Nelly.
»Nur Freunde, jeder im Tal kannte ihn, und er hatte nie Streit mit jemandem. Auch die Schüler mochten ihn gern, sie kamen ihn manchmal besuchen.«
»Und das Haschisch und das Kokain?«
Emilietta verschlug es die Sprache. Sie sah Nelly verständnislos an, dann wurde sie richtiggehend böse und ließ eine dialektale Schimpftirade auf sie niedergehen.
» U me Gian u l’ea n’ommu onestu, nu l’ha faetu ninte, belin , mein Gian ist ein anständiger Kerl, der hat nichts mit Drogen zu tun, seine einzigen Laster waren die Jagd und gutes Essen. Sein Körper ist noch warm, und schon werft ihr mit Dreck nach ihm ...«
»Sehen Sie sich an, was er geschrieben hat.«
Mit dem Zettel vor der Nase verstummte Emilietta einen Augenblick, um dann sofort wieder loszulegen. Ihr Vertrauen in den geliebten Mann war unerschütterlich.
»Das ist ganz sicher nicht von ihm. Es ist nicht mit der Hand geschrieben, nicht einmal die Unterschrift. Ich glaube kein einziges Wort davon, das sind doch alles Lügen. Und wie ich schon sagte, ich glaube auch nicht, dass er sich umgebracht hat. Da müssen Sie woanders suchen, jemand anderen. Vielleicht die Leute, die ihn besucht haben. Vielleicht haben die ihn ja umgebracht.«
»Welche Leute?«
»Er kannte sie gut. Es waren Kollegen, Freunde, hat er mir mal gesagt. Hausmeister oder Krankenpfleger, irgend so etwas, nicht aus dem Tal hier. Er hat sie in Genua kennengelernt. Wenn sie kamen, wollte er nicht, dass ich hier war. Keine Ahnung, warum. Vielleicht schämte er sich, weil ich eine einfache Frau vom Land bin.«
Ihre kastanienbraunen Augen füllten sich wieder mit Tränen.
»Emilietta, würden Sie sie wiedererkennen? Können Sie sie beschreiben?«, fragte Nelly.
»Ich habe sie ein paar Mal gesehen, aber fast immer nur von weitem. Sie kamen nicht immer zusammen, mal kam der eine, mal der andere, dann alle beide. Ich kann mir Gesichter nur schwer merken. Aber einer hatte furchtbare Schlipse an, knallbunt, und einen Schnurrbart ... und eine riesige goldene Uhr. Der andere sah irgendwie nach Sportler aus, keine Ahnung, vielleicht ein Boxer, ziemliches Muskelpaket, und ich glaube, er hatte Narben im Gesicht. Er hat ein paar Mal die Schüler hergebracht, ist aber sofort wieder gefahren und kam sie dann am Abend abholen. Ich bin nicht sicher, ob ich sie wiedererkennen würde, richtig von nahem habe ich sie nie gesehen, er hat mich nie vorgestellt. Er sagte immer: ›Da kannst du noch so beleidigt tun, wenn die da sind, will ich keine Frauen hier haben.‹«
»Das hat Ihnen möglicherweise das Leben gerettet, Emilietta. Wann waren die Männer das letzte Mal hier, heute Morgen?«
»Ich glaube, aber sie könnten auch schon gestern Abend gekommen sein, was weiß ich. Er war nervös, gestern hat er mir gesagt, dass er den ganzen Nachmittag und Abend zu tun hat. Heute Morgen habe ich ihn angerufen, ob wir uns sehen, und er hat gesagt: ›Bleib bloß weg bis heute Abend, steck deine Nase nicht in Dinge, die dich nichts angehen.‹ Dann hat er aufgelegt. Aber ich hatte so ein komisches Gefühl, deshalb bin ich nach dem Mittagessen zu Rosalba gegangen, die wohnt da gegenüber, unter dem Vorwand, dass ich Eier brauchte, verrückt, bei den vielen Hühnern, die meine Tante hat, und dann habe ich den Geländewagen von dem Narben-Typ gesehen. Also habe ich ein bisschen mit Rosalba geschwatzt und gewartet, dass sie gehen, Kaffee getrunken ... Dann habe ich mal kurz nicht aufgepasst, und als ich den Wagen wegfahren hörte, waren sie schon um die Kurve, ich wollte sofort zu ihm laufen, aber Rosalba hat mich aufgehalten, sie erzählte mir gerade von ihren Eheproblemen ...« Emilietta merkte, dass Nelly allmählich ungeduldig wurde, und beeilte sich, zum Schluss zu kommen. »... und dann habe ich Ihr Auto gesehen und wie Sie ausgestiegen sind. Ich wusste nicht, ob Gian wegen Ihnen gesagt hatte, dass ich wegbleiben soll, deshalb habe ich noch ein Weilchen gewartet, aber dann kamen Sie gar nicht mehr heraus und mir wurde immer banger. Ich habe gespürt, dass etwas Schlimmes passiert ist, so was habe ich im Gefühl. Also habe ich mir die Ausrede mit der Putzfrau ausgedacht ... und jetzt ist mein Gian
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