Schnee an der Riviera
Inzwischen suche ich eine Lösung für dich, eine sichere Unterkunft. Und ich bitte dich, nicht noch einmal auszubüchsen. Ich kann nicht immer rechtzeitig kommen.«
Mau lag schon eine patzige Erwiderung auf der Zunge, da klingelte erneut das Handy. Nelly antwortete, und nach einer Sekunde sprang sie so unvermittelt auf, dass ihr Sohn erschrocken zusammenfuhr.
»Ihr habt sie gefunden? Und wo? Ich bin sofort da!«
»Sie haben sie gefunden? Wen? Monica und Matteo? Wie geht es ihr?«
»Sie sind wieder zu Hause. Gesund und munter. Sie sagen, sie wussten nicht, wer wir waren, weil wir uns nicht als Polizisten zu erkennen gegeben haben. Sie hielten uns für irgendwelche Verbrecher, die Monica entführen wollten.«
»Das ist unmöglich, die wollen dir einen riesen Bären aufbinden, Mama.«
»Reg dich nicht auf und bleib schön hier, ich halte dich auf dem Laufenden, so gut es geht.«
Nelly stürzte hinaus, während ihr Sohn mit großen Augen hinter ihr her starrte.
Albini saß ungerührt im Büro seines Arbeitgebers. Von nahem wirkte er noch muskulöser, als Nelly ihn in Erinnerung hatte. Er strahlte eine beinah animalische Urgewalt aus. Seine Augen schienen das einzig Lebendige in seinem Gesicht zu sein, dunkel und ständig in Bewegung, wie bei einem Vogel. Gerolamo war schon da, als sie ankam. Gianandrea saß hinter seinem Mahagonischreibtisch und Monica war in einem Sessel versunken, der neben dem Fenster stand. In einem anderen Sessel saß Avvocato Nencioni, feister und mürrischer denn je. Die Morgensonne schimmerte auf den blonden Haaren des Mädchens, das nicht besonders müde oder mitgenommen aussah. Als Nelly eintrat, lächelte Monica ihr zu.
»Wie geht es Mau? Alles in Ordnung? Was für eine Aufregung in der Villa Caterina, es ging alles so schnell, der reinste Weltuntergang. Als wir hinfuhren, wussten Mau und ich nicht, dass Matteo da sein würde, aber zum Glück war er ja da.«
Anerkennendes Lächeln in Albinis Richtung, der eine bescheidene Miene zur Schau stellte.
»Was soll das heißen, zum Glück war Albini da? Unfassbar! Weißt du, dass sein Kumpan versucht hat, mich zu erschießen, und Mau verletzt hat? Dass ich ihn erschießen musste? Es gibt eine Menge Fragen, die wir Signor Albini stellen müssen, und dir auch.«
»Er hat auf dich geschossen und Mau verletzt? Ist er tot? Das habt ihr mir ja gar nicht gesagt ...«
Monica sah verunsichert ihren Vater an, dann Matteo Albini.
Nelly schenkte ihr und den anderen keine weitere Beachtung, sondern wandte sich direkt an Albini. Der Mann hatte sie nicht eine Sekunde aus den Augen gelassen, seit sie den Raum betreten hatte.
»Warum haben Sie auf uns geschossen, Sie und Ihr Begleiter? Und was hatten Sie bei dem Hausmeister verloren, den wir tot im Val Fontanabuona gefunden haben?«
Matteo Albini schien sich zu verwandeln. Pure Unschuld stand nun in sein kantiges Gesicht geschrieben.
»Ich hatte meinen Kollegen um Hilfe bei der Suche nach Signorina Pittaluga gebeten. Ich wusste, dass sie manchmal zu Giovanni Caprile fuhr, weil ich selbst sie schon ein paar Mal dorthin chauffiert hatte, wir dachten, vielleicht wüsste er, wo sie war, man kann ja nie wissen, oder vielleicht war sie sogar bei ihm ...«
Er hatte eine tiefe, wohlklingende Stimme. Nelly wurde klar, dass Matteo Albini nicht nur ein Muskelpaket war, sondern auch äußerst gerissen und zudem ausgestattet mit einer gehörigen Portion Sex-Appeal. Doppelt gefährlich, dachte sie. Federica konnte sich nicht zurückhalten: »Aber, Matteo, warum hast du uns denn nichts davon gesagt?« Er drehte sich zu ihr um und sah sie mit einem entschuldigenden Lächeln an.
»Die Idee kam mir ganz spontan, ich hätte Ihnen Bescheid sagen müssen, das tut mir leid, Signora.«
Nelly wurde das Gefühl nicht los, dass die Worte, die in diesem Raum gewechselt wurden, einen doppelten Boden hatten. Hatte sie sich das eingebildet, oder lag in dem »Signora« eine ganz leichte, kaum hörbare ironische Note? Matteo wandte sich wieder Nelly zu.
»Wir fanden den toten Hausmeister und sind hochgestiegen, um zu sehen, ob die Signorina oder irgendwer im ersten Stock sei, wir wollten in nichts verwickelt werden, und weil wir oben auf dem Bett die Drogen gesehen haben, sind wir lieber schnell wieder gegangen.«
»Das haben wir gemerkt. Sie hätten uns beinah den Abhang hinunterbefördert. Was den ›toten Hausmeister‹ betrifft, wir haben Zeugen, dass Alfio Spaventa, oder wie er sonst heißt, und Sie mit ihm befreundet
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