Schnee an der Riviera
geholt hat, weil er ihr Freund ist und sie ihn, wörtlich, vermisste! Morde, Selbstmorde noch und nöcher, und das gnädige Fräulein vermisst ihren Liebsten! Und er schlägt der Beamtin, die ihn bewachen soll, ein Schnippchen, um mit dem Mädchen abzuhauen! Romeo und Julia auf genuesisch! Geheimnisvolle Typen, die auf Polizisten schießen, ein VIP-Leibwächter, über den man nichts Genaues weiß, und von dem anderen nicht mal das kleinste bisschen. Matteo Albini hat ausgesagt, dass er Spaventa vor einiger Zeit über eine PR-Agentur kennengelernt hat, die Fallari schwankt wie das Fähnchen im Wind, zuerst leugnet sie, jemals mit ihm zu tun gehabt zu haben, dann besinnt sie sich eines Besseren und erkennt ihn wieder, dann taucht sogar eine Karteikarte mit seinem Namen auf, Alfio Spaventa. Zu welcher Wohnung die Schlüssel passen, die bei der Leiche gefunden wurden, ist ungeklärt, im Adressbuch keine Anschrift, niemand außer Albini scheint den Mann je gesehen oder gekannt zu haben. Dieser Hurensohn gibt an, er habe den Kollegen um Hilfe bei der Suche nach der Tochter seines Arbeitgebers gebeten, und das Ergebnis kennen wir. Die wollen uns wohl verarschen, verdammt, die glauben, wir seien bescheuert«, zischte Esposito, der sich bei seiner Zusammenfassung langsam in Rage geredet hatte.
»Dann meinen Sie also auch ...«
»Das stinkt zum Himmel ... scheint aber wahr. Es wird nicht leicht werden, diese Flut von Schwachsinn zu widerlegen. Albini behauptet, er und sein Kumpan hätten Capriles Leiche und den Stoff gesehen und panikartig die Flucht ergriffen, um nicht in etwas hineingezogen zu werden. Zwei solche Kerle und Panik! Und sie seien dorthin gefahren, weil – hört, hört! – sie wussten, dass er ein guter Freund der Jugendlichen war, den sie manchmal besuchten! Himmel, Arsch und Zwirn, entschuldigen Sie, Dottoressa, aber halten die uns denn für komplette Idioten? Ja, klar, muss wohl so sein. Kein ernstzunehmender Ermittler kann diesen schreienden Unsinn glauben.«
Esposito hielt inne, weil er das strahlende Lächeln auf Nellys Lippen sah.
»Nein, wirklich, das passt nicht zusammen, Dottoressa Rosso, Nelly. Darf ich Nelly sagen?«
Er ließ ihr keine Zeit zu antworten und fuhr fort:
»Sie haben recht. Verarschen wollen die uns. Von vorne bis hinten. Und der Polizeipräsident ist sehr besorgt wegen der Presse, des guten Rufs der Pittalugas. Dem auf den Grund zu gehen kann heißen, dass wir selbst zugrunde gehen«, schloss er und sah ihr direkt in die Augen.
Im Zimmer war es wieder still geworden. Dann fragte Nelly unschuldig:
»Wann, sagten Sie, kehrt Dottor Volponi zurück?«
Esposito blickte sie aufmerksam an.
»Am Wochenende. Er wird in Rom aufgehalten wegen der Ermittlungen zu den neuen Terrorgruppierungen auf nationaler und internationaler Ebene.«
Wieder Schweigen. Dann:
»Also gut, Nelly, einverstanden, die Untersuchung wird offiziell von meinem Büro aus weitergeführt. Ich werde dem Polizeipräsidenten sagen, dass ich die volle Verantwortung übernehme angesichts der Schwere und Komplexität des Falles. Dass es zur Stunde nicht geraten scheint, Sie zu beurlauben, auch wegen des negativen Lichts, das dies auf die Polizei werfen würde. Aber ich will über jeden Schritt, jeden Atemzug informiert werden. Alles, was Sie tun, wird mit mir abgestimmt. Es darf nichts mehr passieren, das in der Öffentlichkeit schlecht ankommt.«
Nelly bemerkte plötzlich, dass der schöne Tano nicht nur mit einem bemerkenswerten Äußeren und einer extrem sympathischen Art gesegnet war, sondern auch mit Mut und Verstand.
»Keine Knalleffekte mehr und keine Kurzschlusshandlungen. Maximale Vorsicht. Jede Aktion, ich wiederhole, muss im Vorhinein mit mir abgesprochen und von mir autorisiert werden. Das sind die Bedingungen. Aber sie gelten nur bis zur Rückkehr des Polizeipräsidenten, damit das klar ist. Danach habe ich nichts mehr zu sagen.«
»Danke, Dottore.«
»Tano.«
Nellys Lächeln war mehr wert als jeder Kuss. Doch jetzt war nicht der Moment, sich zu freuen. Eine düstere Sturmwolke braute sich über ihren Köpfen zusammen, und die Frage war nur, wann der Orkan losbrechen würde. Jeder Tag zählte, und Fehler wären nicht wiedergutzumachen, das spürte Nelly.
»Was machen wir mit Albini? Leider mussten wir ihn laufenlassen«, bemerkte Esposito nach einer kurzen Pause.
»Vielleicht ist das gar nicht so verkehrt. So können wir sehen, was er tut, ihm vielleicht folgen«, war Nellys Antwort.
»Gut. Sorgen
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