Schnee an der Riviera
ziemlich sauer war.
»Das war also alles ein abgekartetes Spiel, um seine Flucht zu provozieren und ihm dann zu folgen. Ich hoffe, du wirst es nicht bereuen, Nelly. Die Risiken kennst du besser als ich.«
Er musste aufgewacht sein und ihr Telefonat mitbekommen haben. Einen Augenblick sah sie ihn überrascht und bestürzt an, fing sich aber schnell wieder:
»Carlo, ich bin keine verantwortungslose Mutter. Mein Sohn ist alles, was ich habe. Das weißt du. Es wäre sowieso passiert, Mau wäre auf jeden Fall abgehauen, um Moni zu treffen. Vielleicht morgen oder in zwei Tagen oder in drei. Oder sie hätte nach ihm gesucht. Und vielleicht hätten wir ihn aus den Augen verloren, mit unberechenbaren Folgen. Es ist ... sein Herz treibt ihn. Das klingt melodramatisch, aber genau so ist es. Die beste Art, ihn zu beschützen, ist, der Sache auf den Grund zu gehen, die Wahrheit herauszufinden, die Fäden des Spiels selbst in der Hand zu halten.«
»Wer hat dir denn diesen Quatsch eingeredet? Etwa dein schöner Polizeivize? Der will doch nur seinen Fall lösen, was interessiert den schon Maurizio? Dem kann’s ja egal sein, wenn er dran glauben muss.«
Carlo brüllte förmlich.
»Los, geh schon, bloß keine Zeit verlieren. Aber auch ich hänge an Maurizio. Ist schließlich der einzige Sohn, den ich habe. Wie’s scheint, hänge ich vielleicht sogar mehr an ihm als du.«
Nelly hatte sich das nicht bis zu Ende angehört. Blitzschnell hatte sie die Pistole eingesteckt, und während sie die Türklinke packte, um die Treppe hinunterzustürzen, schrie sie verbittert ihren Geliebten an, der mitten im Zimmer stand:
»Danke, Carlo. Vielen Dank für die Unterstützung und das Verständnis!« Ihre Augen waren voller Tränen, doch sie schluckte sie hinunter, und mit Gerolamo am Handy, der ihr den Weg wies, setzte sie sich ihrem Sohn mit gebührendem Abstand auf die Fersen.
Es war kein sehr sonniger Tag. Die Temperatur war abgekühlt, und über den Himmel zogen weiße und blaue Wolkenstreifen, welche die Tramontana nach Kräften zu zerstreuen versuchte. Ideales Laufwetter, doch keiner der morgendlichen »Jogger« achtete darauf. Am wenigsten Maurizio, der es nicht erwarten konnte, Monica zu treffen. Er hatte beinah sofort gemerkt, dass er beschattet wurde, doch er hoffte, die Verfolger noch abhängen zu können. Erst war er durch die Via degli Aranci gelaufen, dann zwischen den hohen Mauern der engen Via del Commercio im Ortskern hindurch, um schließlich bei Capolungo auf die Aurelia zu stoßen. Schnell ließ er Nervi hinter sich und lief in Richtung Bogliasco. Rechts, weit unterhalb von ihm das Meer, die Oberfläche vom Wind gekräuselt, in einem leicht bedrohlich wirkenden Blaugrau. Dann erreichte er den Bahnhof von Bogliasco, wo die Schranken des Bahnübergangs sich gerade schlossen und das bekannte Signal den nahenden Zug ankündigte. Der Junge schien anzuhalten, doch dann sprang er mit einem Satz über die heruntergelassene Schranke und schaffte es gerade noch, vor dem vorüberfahrenden Zug die Gleise zu überqueren, ohne von ihm erfasst zu werden. Nicola, der etwa zwanzig Schritte hinter ihm war, musste den Zug passieren lassen, um nicht überrollt zu werden. Als er wild fluchend endlich auf der anderen Seite des Bahnübergangs stand, war Mau verschwunden.
»Verschwunden? Wie das? O nein, nein ...«
Nelly hatte mittlerweile die Villengegend erreicht, wo auch Gudrun Fallari und Miriam wohnten. Gerolamo, der einen kleinen Vorsprung hatte, versuchte die Kommissarin zu beruhigen.
»Das hätte nicht passieren dürfen, aber es ist auch nicht weiter schlimm. Wir folgen einfach dem Signal des Peilsenders, es zeigt an, dass er in den Ort hineinläuft, Richtung Bar Peruzzi . Ich gehe jetzt dorthin.«
»Ich komme«, erwiderte Nelly atemlos und ohne lang zu überlegen.
Keuchend erreichte sie Gerolamo, der in der Nähe des Bahnhofs auf sie wartete, und gemeinsam durchquerten sie die Ortschaft, geleitet von dem winzigen Sender, den sie in das Bündchen von Maus Kapuzenpulli eingenäht hatte. Kurz darauf trafen sie vor der Bar Peruzzi auf Nicola, der nach unten in Richtung der tiefer gelegenen Parkanlage wies.
»Dort irgendwo muss er sein. Ich bin ihm nicht gefolgt, um nicht entdeckt zu werden«, flüsterte er. Nelly kehrte um und bog in eine kleine Creuza ein, die sich nach einer Weile gabelte und wieder hinauf zu der Terrasse und dem kleinen Park führte, während Gerolamo und Nicola oben herum gingen und über die Treppenstufen
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