Schnee an der Riviera
Aufklärung.«
Das war reiner Bluff. Es herrschte angespannte Stille. Tano Esposito, der ebenfalls anwesend war und bis dahin geschwiegen hatte, blickte sie mit fragend gerunzelter Stirn an, sagte aber nichts. Geräuschvoll ließ sich Volponi zurück in seinen quietschenden Stuhl fallen. Er musterte die Frau, die gelassen und mit übereinandergeschlagenen Beinen vor seinem Schreibtisch saß.
»Vier Tage«, sagte er schließlich knapp. »In vier Tagen will ich hier einen handfesten Bericht mit handfesten Ergebnissen haben. Fakten, Namen, Beweise. Ansonsten geht der Fall an jemand anderen, einverstanden, Esposito? An Lojacono zum Beispiel. Verstanden?«
Seine Hand sauste auf die Tischplatte und ließ den Schreibtisch erzittern.
»Ja, Herr Polizeipräsident. Verstanden.«
Nelly und Esposito hatten im Chor geantwortet.
»Und setzen Sie sich mit Staatsanwalt Ferrari in Verbindung. Den kennen Sie doch angeblich so gut.«
»Wird gemacht, Dottor Volponi.«
Als Nelly aufstand, um sich zu verabschieden, bemerkte sie die kleinen roten Äderchen auf den Wangen des Polizeichefs und die große Arterie, die an seiner rechten Schläfe puckerte.
»Wenn der so weitermacht, kriegt er bald ’nen Schlaganfall«, dachte sie und empfand bei der Vorstellung nicht das geringste Bedauern.
Volponi kam ihr vor wie ein dicker, gefährlicher Eber, aggressiv, aber inzwischen völlig berechenbar. Volponi hingegen hatte aufmerksam beobachtet, wie sie ihre übereinandergeschlagenen Beine gelöst hatte und aufgestanden war.
»Ja, ja, die Rosso«, dachte er bei sich, »über Busen und Beine kann man bei der nicht meckern, aber die ist dermaßen kritisch, dass man ständig das Gefühl hat, sie nimmt einen nicht für voll. Sagen tut sie das eine, aber ihr dreister Blick erzählt ganz was anderes. Ich wette, wenn die mal die Klappe hält, ist sie im Bett gar nicht schlecht, bei dem Mund ...«
Die Gedanken ihres Chefs drängten sich Nelly auf wie heiße, schwitzige Hände. Er musterte sie mit hartem, provokantem Blick. Sie murmelte einen Abschiedsgruß und ließ die zwei Männer allein im Büro zurück.
Eine halbe Stunde später saß Nelly dem Richter Luca Ferrari gegenüber und dachte bei sich, was für ein himmelweiter Unterschied doch zwischen ihm und dem Polizeipräsidenten bestand. Das Büro des Richters war schlicht, streng, fast mönchisch: wenige, zweckmäßige Möbel, Regale mit Gesetzestexten an den Wänden, dazu ein wunderschönes Bild eines venezianischen Vedutenmalers. Es zeigte die Piazza San Marco, eingetaucht in einen lichten, geheimnisvollen Dunst. Der Richter war groß und hager, mit grauem, zausigem Haar und freundlichen blauen Augen. Er war wie immer geschmackvoll und dezent gekleidet. Alles an ihm erschien wie das Gegenteil von Volponi, selbst sein weicher Tonfall. Doch Nelly wusste nur zu gut, dass Blick und Stimme unvermittelt umschlagen konnten. Früher hatte zwischen ihnen einmal eine – wie es in solchen Fällen in der Presse heißt – intime Freundschaft bestanden, die Nelly von einem Tag auf den anderen ohne eine Erklärung gelöst hatte. Wenn Ferrari gelitten hatte, so hatte er es zumindest nicht gezeigt. Er war ein guter Freund geblieben. Auf dieses weit zurückliegende, trotz aller Diskretion in der Branche allseits bekannte Verhältnis hatte Volponi in seiner üblichen feinfühligen Art angespielt.
Luca wollte alle Einzelheiten wissen, hielt sich jedoch mit Bemerkungen zurück. Er drehte den Briefbeschwerer zwischen den Fingern und erkundigte sich nach dem nächsten Schritt.
»Ein Besuch im Anatra azzurra .«
»Gut. Was die Pittalugas betrifft, rate ich zu Besonnenheit, aber bloß keine Duckmäuserei. Mach einfach weiter wie bisher, ich gebe dir Rückendeckung, soweit ich kann. Und sei vorsichtig. Das sind gefährliche Leute, die hinter diesen beiden Delikten stecken, und sie sind deiner Privatsphäre beängstigend nahe gekommen, Nelly. Mir wäre wohler, wenn auch du dich unter Schutz stellen ließest.«
»Ich glaube nicht, dass das wirklich sein muss, Luca. Das einzige Problem wäre mein Sohn gewesen, doch der ist jetzt in Sicherheit. Um mich habe ich keine Angst.«
»Daran zweifle ich nicht.«
Ein leises, belustigtes, halb ironisches Lächeln umspielte seinen Mund. Dann wurde das Gesicht des Richters wieder ernst.
»Aber es wäre besser, sich hinterher keine Vorwürfe machen zu müssen. In deinem Beruf kann alles Mögliche passieren. Ich muss dich wohl nicht daran erinnern, was mangelnde Vorsicht
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