Schnee an der Riviera
lief ihr aus dem Mund, ihre Augen waren verdreht. Sie wehrte sich kurz und ließ sich dann wie ein nasser Sack in Gerolamos Arme fallen. Vorsichtig legten die beiden Männer sie auf die kitschige Tagesdecke und streiften ihr taktvoll den schwarzen Rock über die Beine.
»Ich rufe sofort einen Arzt. Und dann brauchen wir noch jemanden, der sich um die Kleine kümmert«, sagte Nelly, die erst jetzt das lockige Mädchen bemerkt hatte, das mit angstvoll aufgerissenen Augen in einer Ecke kauerte. Nelly nahm es in die Arme, es war federleicht und wehrte sich nicht. Zärtlich streichelte sie ihm über das weiche schwarze Haar.
»Der Mama geht es nicht gut, aber es ist nichts Schlimmes. Bald geht es ihr wieder besser, ganz bestimmt, und jetzt rufen wir einen netten Doktor und bringen sie ins Krankenhaus, wo man sich um sie kümmert. Solange kannst du mit anderen kleinen Mädchen spielen und eine Menge Spaß haben, und dann ist deine Mama wieder gesund und holt dich ab.«
Offenbar war Hadija ähnlich klug wie ihr Bruder. Sie klappte den Mund zu und kuschelte sich mit einem zutraulichen Lächeln in Nellys Arme. Als der Sozialarbeiter kam, um sie abzuholen, ging sie klaglos mit ihm mit.
Nachdem auch Fatima ins Krankenhaus abtransportiert worden war, blieben Nelly, Gerolamo und Nicola in dem leeren Zimmer zurück und durchsuchten es erfolglos. Dann schilderte Nicola, was sich während seiner Observierung der Wohnung abgespielt hatte. Bis auf die wenigen Stunden, in denen er gegessen und geschlafen hatte und von seiner Kollegin Fernanda Biondi ersetzt worden war, hatte der junge Mann seinen Posten nicht verlassen. Er berichtete auch, was die Polizistin beobachtet hatte:
Seit Nelly und Gerolamo tags zuvor nach Habib gefragt hatten, hatte Fatima die Wohnung nur zweimal verlassen, einmal, um einen Großeinkauf zu machen, und das zweite Mal, um die Tochter aus dem Kindergarten abzuholen. Seitdem hatte sie Hadija nicht mehr zum Kindergarten gebracht, sie hatte die Tür verriegelt und sich nicht mehr blicken lassen. Nicolas Meinung nach hatte sie bemerkt, dass sie beobachtet wurde. Sie hatte ihm einen argwöhnischen Blick zugeworfen, als sie mit dem Mädchen an ihm vorbeigegangen war, während er am Boden gehockt und so getan hatte, als erholte er sich gerade von einem Kater. Gegen zwei Uhr nachts, zu einer ziemlich ungewöhnlichen Besuchszeit also, war ein Mann aufgetaucht, hatte sich verstohlen umgesehen und dann energisch an die Tür geklopft. Drinnen hatte sich nichts gerührt, dabei musste Fatima es auf jeden Fall gehört haben. Nicola war sofort losgerannt, um sich den Typen zu schnappen, doch der, ein mittelgroßer, vierschrötiger Kerl mit einer tief in die Stirn gezogenen Mütze, hatte die Beine in die Hand genommen und war in den Gassen verschwunden. Nicola hatte die Verfolgung aufgegeben, um sich nicht zu weit von der Wohnung zu entfernen und die Frau nicht ungeschützt zu lassen. Schließlich hatte dieser nächtliche Besuch ihn endgültig davon überzeugt, dass Mutter und Tochter in ernster und unmittelbarer Gefahr schwebten. Seit klar war, dass Habibs Wohnung observiert wurde, hatte sich niemand mehr blicken lassen.
»Wir haben noch ein Problem, Gerolamo«, seufzte Nelly. »Nach dem, was ihrem Sohn zugestoßen ist, muss Fatima noch strenger bewacht werden als bisher; denn jetzt, wo sie nicht mehr fürchten muss, Habib damit zu gefährden, könnte sie auf die Idee kommen, uns eine Menge interessanter Details zu erzählen. Stell jemanden zur Bewachung im Krankenhaus ab, und hab ein besonderes Auge auf das kleine Mädchen, auch wenn keiner seinen Aufenthaltsort kennt und es in der geschützten Einrichtung, in die wir es haben bringen lassen, außer Gefahr sein sollte.«
»Und die Wohnung? Setzen wir die Observierung fort oder brechen wir ab?«
»Möglicherweise war Fatima gestern so verschreckt, weil sie ahnte oder wusste, dass ihr Sohn etwas Wichtiges besaß, das irgendwelche gefährlichen Leute sich um jeden Preis zurückholen wollten. Deshalb ist er auch abgetaucht. Sie wird gedacht haben, wenn diese Leute Habib nicht kriegen, rächen sie sich womöglich an ihr oder Hadija, oder dass die glaubten, sie hätte das, was sie suchen. Also hat sie sich in der Wohnung verschanzt, eine naive und ziemlich sinnlose Idee. Der seltsame nächtliche Besuch, den du beobachtet hast«, sie wandte sich an Nicola, der aufmerksam zuhörte, »bestätigt diese Vermutung. Wäre der Besucher ein Freund gewesen, hätte sie sofort
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