Schnee Im Regierungsviertel
Minuten vor der Zeit rumorte es im Vorzimmer. Die Verbindungstür war geschlossen, denn bis vor wenigen Minuten hatte der Kommissar mit Sabine Heyden telefoniert – länger als eine Viertelstunde.
Lupus fragte neugierig: »Warum hat der Chef uns herbestellt? Das bedeutet hoffentlich nicht wieder Klinkenputzen bei reichen Leuten, denen die Armut ins Gesicht geschrieben steht. Ich brauche bald einen freien Tag – Haus und Garten verlangen nach Pflege.«
»Ich denke, dafür hast du Frau und Tochter«, meinte Ahrens scheinheilig.
Lupus seufzte: »Der Mann fürs Grobe bin ich. Schließlich hat meine Frau die Villa geerbt, und die liebe Tochter muß immer dann Klausuren schreiben, wenn das Unkraut nach dem Gärtner schreit.«
»So ein schönes Haus möchte ich auch mal erben«, sagte Fräulein Kuhnert träumerisch. »Den ganzen Tag in der Sonne liegen und…«
»Hereinspaziert!« rief Freiberg. »Worauf wartet ihr noch?«
Lupus, Ahrens und Fräulein Kuhnert schoben die Stühle zurecht und setzten sich an den Besuchertisch. Barbara Fendt kam als letzte. Alle sahen ihren Kommissar erwartungsvoll an.
»In medias res«, eröffnete der das Gespräch. »Unsere Tote vom Kaiser-Wilhelm-Stein hat im Bundeskanzleramt nicht nur der Republik gedient – Irmela Ellers war auch ein first-class Callgirl.«
»Was sagst du da?« Lupus, der seiner Gewohnheit folgend, ans Fenster treten wollte, ließ sich wieder auf den Stuhl fallen. »Puhhh!«
»Chef, die soll ein…« setzte Ahrens an.
»Du hörst es doch«, gab Fräulein Kuhnert die Antwort. »Eine Edelnutte war sie. Das erklärt auch das Goldgedöns an Armen und Fingern.«
Barbara Fendt sah erstaunt von einem zum anderen. »Das ist mir neu; im zweiten K. ist sie jedenfalls nicht erfaßt. Das Feld wird doch von unserem Internationalen-Hostessen-Service beackert. Eine Ellers ist nirgendwo in Erscheinung getreten.«
Lupus strich sich über das widerspenstige graumelierte Haar.
»Wer hat denn den Deubel aus der Kiste geholt?«
Freiberg nahm mit Schmunzeln die Überraschung seiner Crew wahr. »Ich habe eben ein langes Gespräch mit einer V-Männin geführt.«
»Aber Sie haben doch nur mit Fräulein Heyden…« platzte die Kuhnert los.
Freiberg sah sie an. »Eben! – Sabine hat für das erste K. den Lockvogel gespielt und alle Telefonnummern aus dem Verzeichnis der Ellers durchtelefoniert.«
»Aber das sind doch alles Botschaften und Verbände«, wunderte sich Fräulein Kuhnert. »Das wurde schon in den ersten Tagen nach dem Mord geklärt.«
»Zu allen Nummern gehören wohlbestallte Herren, wie wir jetzt wissen. Es lebe der kleine Unterschied!« Freiberg lehnte sich zurück. »Also die Fakten: Mir ist aufgefallen, daß die Liste mit den Telefonnummern sehr unpersönlich wirkte, ohne Notizen oder Namen. Da sieht es bei unserer Kuhnert doch viel bunter aus. – Zwei Nummern waren gestrichen. Ich habe dort angerufen und erfahren, daß die dazugehörigen Herren Deutschland verlassen haben, vor drei oder vier Wochen. Die Ellers hat also mit der Liste – sagen wir – ›gearbeitet‹, nachdem sie aus dem Kanzleramt gefeuert worden war.«
»Und dann hast du die übrigen Nummern abgefragt?« wollte Lupus wissen.
»Nein. Männerstimme und Kripo Bonn, das hätte den Herren den Mund verschlossen. Meine sprachkundige Sabine hat heute eine telefonische Anmache versucht und gleich beim zweiten Anruf Erfolg gehabt; danach ging es fröhlich weiter. Die Herren leben ja in einem gewissen Notstand und scheinen dankbar zu sein, daß sich eine Freundin der Ellers ihrer annehmen will. Sie warten jetzt sehnsüchtig auf den nächsten Kontaktanruf.«
»Sind alle erfaßt?« fragte Barbara Fendt.
»Ein Diplomat hat Urlaub, zwei Verbandsvertreter waren sehr vorsichtig, aber interessiert; einer war auf Dienstreise. Seine Sekretärin hat gesagt, es sei auch für sie ein Kunststück, ihren Chef zu erreichen. Wenn es um eine geschäftliche Angelegenheit gehe, wolle sie gern einen Termin ausmachen und zurückrufen. Sabine hatte alle Mühe, die Dame abzuwimmeln, ohne Verdacht zu erregen. Das Gespräch einfach abzubrechen wäre unklug gewesen. In zwei Fällen bleibt also offen, ob Liebesdienste erwünscht sind.«
»Davon dürfen wir doch wohl ausgehen«, stellte Lupus fest.
»Und nun noch eine kleine Überraschung zum Dessert: Hinter der letztgenannten Nummer steckt, wie Sabine von der Sekretärin erfahren hat, unser fliegender Konsul Jan Kubitzka höchstpersönlich. – Ahrens, hol bitte mal die
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