Schneebraut
du ihnen auch jeden Tag ein Tagesprogramm bieten?«
»Das lasse ich lieber mal sein … Sie hat mich gebeten, ihretwegen keine Umstände zu machen, sie wolle nur entspannen und es einfach genießen, endlich hier zu sein.«
»Seid ihr irgendwie verwandt?«
»Nein – aber sie hat meinen Vater damals in Dänemark anscheinend sehr gut gekannt …«
»Sehr gut … meinst du etwa …?«
»Ich weiß es, ehrlich gesagt, nicht. Es war wahrscheinlich zwischen meiner Mutter und ihm schon alles vorbei, als er nach Dänemark zog. Ich habe wenig Interesse, Rósa danach auszufragen. Obwohl ich vielleicht die Gelegenheit nutzen sollte – um mehr darüber zu erfahren, was mein Vater damals so alles getrieben hat, bevor er an Tuberkulose erkrankte. Hrólfur scheint damals nicht viel Kontakt mit ihm in Kopenhagen gehabt zu haben, außer vielleicht ganz zum Schluss, obwohl sie seinerzeit hier in Siglufjördur gute Freunde gewesen sind.«
»Nun ja, so eine Gelegenheit ergibt sich freilich nicht oft. Ich hoffe, dass sie vom Wetter hier nicht festgehalten wird, die gute Frau.«
»Ja, das hoffe ich ganz ehrlich auch!«
Pálmi klopfte Úlfur leicht auf die Schulter und verabschiedete sich von ihm.
***
Leifur hatte die Requisiten in aller Eile weggeräumt, weil er noch schnell in den Supermarkt wollte. Er schaffte es gerade noch, bevor die Türen schlossen. Er war der einzige Kunde. Er näherte sich den Kühlschränken mit Tiefkühlkost, Hähnchenschenkeln, Rinderhackfleisch und noch mehr. Am Gefrierfach hing ein Schild, auf dem stand: »Nur Donnerstag: Rinderhackfleisch im Angebot.« Klang gut.
Nur noch zwei Tage bis zur Premiere. Das Theater war ein idealer Ort, um von den eigenen Erinnerungen abzulenken. Leifur war besonders zufrieden damit, dass die zweite Vorstellung nach der Premiere am 15 . Januar sein sollte. An diesem Tag würde es ganz besonders wichtig sein, dass er sich selbst auf andere Gedanken brachte.
Er konnte sich noch gut an den 15 . Januar im Jahre 1986 erinnern, und nicht zuletzt auch an den Silvesterabend kurz davor, Silvester 1985 . Die meisten anderen Silvesterabende vor dieser Zeit schmolzen in seiner Erinnerung zusammen, ein jeder glich dem anderen. An diesem Tag war er elf Jahre alt geworden. Von Weihnachten war er als Kind nicht sehr angetan gewesen, dafür freute er sich umso mehr auf Silvester. Das gefiel ihm am besten – er schaute sich die Feuerwerke an und durfte manchmal auch seinem Vater und älteren Bruder helfen, die Raketen anzuzünden. Dieses Mal hatte ihn eine verfluchte Grippe erwischt, und für seine Eltern kam es nicht in Frage, dass er aus dem Haus ging. Deswegen musste er das Feuerwerk durch das Fenster verfolgen – doch wie jeder Mann und jedes Kind wussten, konnte das Erlebnis, ein Feuerwerk unter freiem Himmel anzuschauen, durch nichts aufgewogen werden. Er war schon zu alt, um zu weinen, wurde stattdessen aber von einer solchen Wut erfüllt – soweit er wegen seiner Erkrankung noch die Kraft dazu hatte – dass er sich in seinem Zimmer einschloss. Er ließ sich nicht umstimmen, obwohl seine Eltern und sein Bruder ihn baten, sich zu ihnen zu setzen, und schlussendlich war es so, dass er Neujahr in seinem kleinen Zimmer verbrachte. Selbstverständlich schlich er sich heimlich zum Fenster, um ein wenig hinauszuschauen und einen Blick auf das Feuerwerk zu erhaschen, doch das Fenster lag nicht zur Straße hin, wo seine Familie stand und das alte Jahr mit viel Lärm verabschiedete. Er verpasste Silvester mit seiner Familie. Árni, sein Bruder, der damals knapp siebzehn war, trug in diesem Jahr die Verantwortung dafür, die Raketen zu besorgen – hatte mehr Raketen gekauft als die Jahre zuvor, hatte aus diesem Grund selber etwas zur Seite gelegt. Die Familie sprach in den nächsten Tagen viel darüber, wie gut alles geklappt hätte, und Árni wurde mit Lob überschüttet. Leifur nahm nur begrenzt an den Gesprächen teil, versuchte, sich selbst davon zu überzeugen, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte, sich im Zimmer einzuschließen. Árni durchschaute aber das aufgesetzte Spiel und versuchte, ihn aufzumuntern. Er müsse versprechen, dass sie sich nächstes Jahr gegenseitig helfen würden, es noch besser zu machen.
Seither waren dreiundzwanzig Jahre vergangen.
Leifur Þorláksson bezeichnete sich im Telefonbuch als Handwerker. Eine Art Mischung aus Wunschdenken und Wahrheit. Er war mit den Händen schon immer geschickt gewesen und hatte direkt oder indirekt immer
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