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Schneebraut

Schneebraut

Titel: Schneebraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ragnar Jónasson
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war alt, aus hellem Holz, wahrscheinlich das schönste Möbel auf dieser sonst so kargen Polizeiwache. Da lag das Handy, auf ihm blinkte ein kleines rotes Licht als Zeichen dafür, dass Ari eine SMS bekommen hatte. Das kleine Licht symbolisierte in diesem Moment all die Weihnachtslichter, die bis dahin auf der Polizeiwache gefehlt hatten.
    Ari vergaß in diesem Moment die beiden vorangegangenen Telefongespräche, das Flüstern, die Furcht und das Unbehagen. Er nahm sein Handy und öffnete die Nachricht.
    Die erste Reaktion war Enttäuschung. Nicht Kristín …
    Dann Verwunderung.
    Das war keine Nummer, die er auf Anhieb erkannte.
    »Fröhliche Weihnachten! Viel Spaß auf der Wache!«
    Unter der Nachricht stand der Name des Absenders. Ugla.
    Ugla?
    Sie hatte daran gedacht, ihm einen Weihnachtsgruß zu schicken – während Kristín es unterlassen hatte?
    Er spürte, wie die Wut auf Kristín nach und nach der Dankbarkeit für Ugla wich. Freude. Er schmunzelte. Sah sie vor sich. Groß gewachsen – wenn auch viel kleiner als er selbst – mit ihren feinen, zarten Klavierfingern.
    Ugla hatte an ihn gedacht, während sie mit ihren Eltern bei sich zu Hause die letzten Vorbereitungen für Weihnachten traf.
    Er antwortete ihr, bedankte sich für den Gruß, wünschte ihr frohe Weihnachten.
    Er setzte sich hin und nahm erneut das Buch zur Hand; nun fiel es ihm leichter, sich zu konzentrieren.
    Die Kirchenglocken läuteten Weihnachten ein, hallten im ganzen Dorf wider und sogar in den Bergen, doch weiter drang das Geläut nicht – zumal es ja auch nur für die Dorfbewohner bestimmt war.
    Das Glockengeläut überraschte Ari, er hatte sich in seiner Lektüre vergessen. Er legte das Buch hin, nahm die Kerze aus der Tüte, stellte sie auf das Fensterbrett und zündete sie an. Schob die Papierstapel zur Seite, um den Braten aufzutischen und goss das Weihnachtsbier in ein Glas. Musste an seine Mutter denken, sie hatte an Weihnachten immer einen Braten zubereitet – und immer dieselbe Musik aufgelegt in dem Moment, in dem im Radio die Kirchenglocken Weihnachten einzuläuten begannen.
    Ari nahm die CD aus der Tüte und legte sie in den kleinen CD -Player, der auf der Wache stand und seinen Dienst erfüllte, obwohl er alt war. Er drehte die Lautstärke ein wenig auf, bevor er die Musik laufen ließ; wusste ganz genau, welches Stück gleich erklingen würde.
    Der Winter
von Vivaldi. Largo.
    Jetzt konnte Weihnachten beginnen.

13. Kapitel
    Das Handy in ihrer Manteltasche – warum hatte sie nicht versucht, es zu benutzen? Warum hatte sie nicht heimlich die Polizei angerufen? Sie hätte problemlos den Notruf wählen – die drei Ziffern blind eintippen können … Zum Teufel. Doch es war zu spät, das Telefon klingelte – ein schneidender Lärm gellte aus der Tasche ihres Mantels.
    Er zuckte zusammen, was zur Folge hatte, dass die haarscharfe Klinge, die er ihr wieder an den Hals gepresst hatte, sie plötzlich schnitt; sie griff unwillkürlich mit der Hand an ihren Hals, spürte, dass die Verletzung nicht tief war.
    Er nahm das Handy aus der Tasche, schaute es an und zeigte ihr das Display. Ihr Mann. Er wollte offensichtlich vor dem Flug noch mit ihr reden.
    Sie bat um das Telefon – sagte, dass ihr Mann besorgt sei, wenn sie nicht antwortete.
    Sie wusste genau, dass das nicht stimmte – er hatte bewusst ihre Handynummer gewählt und nicht die Festnetznummer zu Hause; wusste, dass sie wahrscheinlich schon zu Bett gegangen war und folglich das Handy auf lautlos gestellt hatte.
    Der schwarz gekleidete Mann zögerte einen Augenblick und schien zu überlegen, ob sie wohl die Wahrheit sagte. Das Handy klingelte weiter, jedes Klingeln schien lauter als das vorherige zu sein.
    Schließlich sah er sie an und ließ das Telefon vorsichtig in die Tasche seiner Lederjacke gleiten.
    Er fragte sie erneut nach dem Code und erhielt wieder dieselbe Antwort.
    Er stand unbeweglich da und schaute sie an. Er hatte aufgehört zu fragen. Er überlegte den nächsten Schritt.

14. Kapitel
    Siglufjörður,
    Donnerstag 8 . Januar 2009
    Ugla stand auf. Sie hatte auf einem alten Küchenstuhl mit zerschlissenem, gelbem Bezug gesessen. Sie zögerte und schaute dem Mann, der vor ihr stand, tief in die Augen. Er hatte dichtes, schwarzes Haar, das noch keine Spur von Grau zeigte, obwohl er gerade zweiundvierzig geworden war. Ugla fand seinen Gesichtsausdruck stets etwas geheimnisvoll; die Augen waren immer ein wenig zusammengekniffen, als ob sie »komm näher« oder

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