Schneebraut
du die … die Leiche hier gefunden hast?«, fragte Tómas.
Ari hatte sich so gut es ging schon umgeschaut, ob sonst jemand da war außer Nína, als Tómas und er eintrafen. Er war in den Keller hinuntergegangen und hatte auf dem Balkon nachgesehen, wo ein paar alte Stühle und wenige Tische standen. Auf einem Tisch lag eine alte Zeitung; der Tisch, an dem wahrscheinlich Hrólfur und Úlfur gesessen hatten.
»Ja, das ist ganz sicher – ich hatte niemanden gehört.«
»Und weißt du, ob er getrunken hat?«, fragte Tómas.
»Ja, er hatte eine kleine Flasche bei sich – einen kleinen Flachmann. Deswegen vermute ich, dass er in der Essenspause nicht weggefahren ist – schlechtes Wetter, und er war mit dem Wagen da.«
Ari wollte Nína gerade eine Frage stellen, als Tómas ihm zuvorkam.
»Das ist gut so, du darfst jetzt nach Hause gehen und dich ausruhen. Wir werden uns morgen bei dir melden, falls wir noch mehr Fragen haben. Wird sonst niemand mehr hier später erwartet?«
»Doch, Úlfur hat allen eine Stunde frei gegeben, um etwas zu essen. Sie werden bald wieder ins Haus kommen, in ungefähr zehn bis fünfzehn Minuten.«
Die Türen wurden aufgerissen, bevor Tómas das Wort noch einmal ergreifen konnte. Während die Sanitäter das Foyer betraten, verabschiedete sich Nina. Tómas nickte ihnen zu und deutete mit einer Handbewegung in den Saal hinein. Worte waren überflüssig. Sie machten sich ohne Zögern an die Arbeit.
»Ari, kannst du draußen bitte Wache stehen? Die Leute werden wohl bald aus der Pause zurückkommen, es ist nicht nötig, die Leute jetzt ins Haus zu lassen – wir sollten sie wissen lassen, dass es einen Unfall gegeben hat … dass Hrólfur die Treppe hinuntergefallen ist und dabei sein Leben gelassen hat …«
18. Kapitel
Siglufjörður,
Freitag, 9 . Januar 2009
Die Tür knarrte, als Leifur den Saal durch die Hintertür betrat. Tómas schaute auf und schien erschrocken zu sein.
Leifur grüsste ihn und schaute sich um. Die Sanitäter hoben Hrólfur gerade auf die Bahre.
»Bist du die ganze Zeit hier gewesen?«, fragte Tómas.
»Die ganze Zeit?« Leifur wirkte bestürzt. Er rieb sich mit der Hand über die Glatze und dann über den Oberlippenbart, der seit einigen Tagen in Ruhe sprießen durfte. »Nein, ich bin vom Essen gekommen.«
Tómas zögerte. Leifur konnte sich denken, welche Frage als Nächste gestellt werden würde.
»Es gibt hier eine Hintertür – hinter der Bühne … Was ist denn eigentlich passiert?«
»Ein Unfall auf der Treppe«, sagte Tómas. »Hrólfur scheint gefallen zu sein … Er ist tot.«
Er ist tot.
Das waren die Worte, die Leifur niemals vergessen würde. Die Worte, die der Pfarrer zu seinen Eltern gesagt hatte, als er abends zu ihnen gekommen war, am fünfzehnten Januar vor dreiundzwanzig Jahren. Leifur hatte damals im Wohnzimmer gesessen und das Gespräch wahrscheinlich nicht hören sollen.
Die Familie hatte lediglich gewusst, dass Árni, Leifurs Bruder, mit seinem Freund nach Sauðarkrókur fahren wollte. Sie waren am späteren Nachmittag losgefahren und hatten am Abend wiederkommen wollen. Leifur konnte sich daran erinnern, wie seine Mama ihn gebeten hatte, nicht zu fahren – der Zustand der Straße sei nicht gut, da und dort gäbe es Glatteis, und die Sicht sei schlecht. Árni ließ sich aber nicht davon abbringen, wollte den neuerworbenen Führerschein unbedingt ausnutzen. Als es Abend wurde, klopfte es an die Tür. Leifur erinnerte sich, dass sein Vater zur Tür gegangen war. Der Pfarrer, der in Begleitung der Polizei war, hatte Leifurs Eltern berichtet, dass es auf dem Weg nach Siglufjörður einen Unfall gegeben hatte – ein Auto hatte sich überschlagen. Árnis Freund, der auf dem Beifahrersitz gesessen hatte, lag auf der Intensivstation und würde sich aller Wahrscheinlichkeit nach wieder erholen.
»Aber Árni … er ist tot«,
hatte der Pfarrer gesagt.
»Was? Was sagst du? Hrólfur ist … tot?«, fragte Leifur.
»Ja, es scheint so, dass es ein Unfall war.«
»Er hatte ja auch ein bisschen getrunken«, sagte Leifur. »Ja, oder …«
»Es ist schon gut, mein Freund. Es besteht kein Zweifel daran, dass er getrunken hatte. Möchtest du nicht einfach wieder nach Hause gehen? Es wird heute Abend keine weitere Probe mehr geben.« Leifur nickte und ging denselben Weg zurück, den er gekommen war.
***
Das Kinogebäude war alt und grau gestrichen, der Kinosaal lag im östlichen Teil des Gebäudes, im westlichen befand sich ein Restaurant. Ari
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