Schneebraut
war, hatte er aber seine Hände nicht in den Schoß gelegt, sondern Theaterstücke geschrieben, mit denen er sehr zufrieden war. Das Theater übte einen guten Einfluss auf ihn aus. Er hatte einige Stücke mit dem Theaterverein inszeniert und war dort mittlerweile ein »festengagierter« Regisseur, soweit dieser Begriff bei einem unentgeltlich arbeitenden Amateurtheater überhaupt existierte. Er hatte seit jeher ein großes Interesse an Kunst und Kultur gehabt. Wusste aber tief drinnen ganz genau, was es war, das ihn an diesem neuen Job so sehr faszinierte – hier bekam er die Gelegenheit, zu leiten, Befehle zu erteilen, hier genoss er Respekt. Er hatte all die Jahre im Auswärtigen Dienst eine leitende Position innegehabt, und es hatte für ihn eine große Umstellung bedeutet, auf einen Schlag alle Macht zu verlieren. Ein unwichtiger Rentner in einem kleinen Dorf auf Island. Die Arbeit als Regisseur hatte ihm dagegen ein ganz neues Betätigungsfeld gegeben.
Doch der Ehrgeiz reichte noch weiter.
Abend für Abend hatte er mit dem Manuskript seines Stückes verbracht, es fein geputzt und korrigiert. Er träumte davon, es nächstes Jahr auf die Bühne zu bringen, aus Anlass seines siebzigsten Geburtstags. Autor und Regisseur. Bisher war es immer Hrólfur gewesen, der ihm im Weg gestanden hatte; er hatte ihm einmal einen Entwurf des Stückes gezeigt, und der Alte war nicht allzu begeistert gewesen.
Dieses Mal würden sie sich nach der Premiere nicht bei Hrólfur treffen. Hrólfur hatte sie oft nach der Vorstellung zu Rotwein eingeladen – und dann gewiss nicht zu einem Fusel. Er hatte sich über all die Jahre einen guten Weinkeller zugelegt; ein Weltenbürger mit Leib und Seele, hatte nie mit guten Jahrgängen gegeizt. Er hatte sich zweifelsohne ganz genau überlegt, dass er jede Gelegenheit nutzen musste, um zu einem guten Tropfen der obersten Güteklasse einzuladen, wenn er nicht eine Unmenge bester Weine zurücklassen wollte.
Hrólfur war stets von einer geheimnisvollen Aura umgeben gewesen – er hatte die Schriftstellerei bereits vor Jahrzehnten aufgegeben, seine Berühmtheit genossen –, die Urheberrechte weithin verkauft und war in der ganzen Welt herumgekommen, um Lesungen aus seinem Werk abzuhalten. Er hatte nach dem Krieg in Reykjavík gelebt, war aber nach Siglufjörður gezogen, als die Sonne der Berühmtheit nicht mehr so kräftig schien. Behauptete, sich zur Ruhe setzen zu wollen, aber Úlfur hatte begriffen, dass Hrólfur damit ein schlaues Spiel spielte. Er war nicht mehr länger eine Berühmtheit im ganzen Land, zog aber in sein Heimatdorf, wo ihm viel Respekt entgegengebracht wurde, alle ihn kannten, alle sein Buch gelesen hatten. Er hielt zudem weiterhin Lesungen ab und besuchte hier und dort Literaturfestivals, manchmal gegen gutes Entgelt. Der Kerl war klug gewesen, das musste man ihm zugestehen, und er hatte es geschafft, sein Geld gut anzulegen.
Das waren bleibende Abende gewesen, als sie zusammen in der Dämmerung saßen – Hrólfur, Úlfur und Pálmi –, ein wenig Rotwein tranken, zusammen über Kunst und Kultur plauderten, sich Opern anhörten. Manchmal herrschte auch Schweigen – abgesehen von dem Gesang im Hintergrund. Meistens schwiegen sie alle drei, wenn Jussi Björling seine Stimme erhob und
Una furtiva lagrima
zum Besten gab. Es wäre Blasphemie, in diesen Gesang hineinzureden – darüber waren sie sich einig. Zumeist handelte es sich dabei um alte Aufnahmen auf Schallplatte, die alten Meister. Hrólfur hatte sich zwar vor kurzem auch einen CD -Player zugelegt – er spielte aber dennoch lieber Schallplatten, wann immer möglich. Er schien sich nicht im selben Tempo fortzubewegen wie die Technik. Úlfur hatte erfahren, dass Ugla es war, dieses geheimnisvolle junge Mädchen aus dem Westen, das ihn davon überzeugen konnte, sich einen CD -Player und einige CD s zu kaufen. Bei ihr hatte er nachgegeben. Hrólfur war von diesem Mädchen sehr angetan gewesen, der Mieterin im Keller, die nun in ihre eigene Wohnung gezogen war. Sie hatte aber auch weiterhin ab und zu bei ihm zum Kaffee vorbeigeschaut. In Siglufjörður wussten alle alles über alle.
Úlfur war sich ziemlich sicher, dass Hrólfur niemals zugestimmt hätte, dass sein Theaterstück vom Theaterverein auf die Bühne gebracht würde. Er war von Pálmi viel begeisterter gewesen, dem alten Lehrer – Hrólfur war ihm stets wohlgesonnen; war bereit gewesen, ihm eine Chance zu geben, obwohl man in seinen Stücken immer auch den
Weitere Kostenlose Bücher