Schneebraut
Ton des Anfängers heraushörte. Sie wurden allerdings immer besser, das musste Úlfur zugeben – der Teufelslehrer hatte Talent, darüber gab es nichts zu streiten.
Doch nun war das Problem beseitigt.
Úlfur hatte sich bereits entschieden, die Inszenierung seines eigenen Stückes finanziell zu unterstützen – hinter den Kulissen, wenn man so sagen wollte –, wenn es denn so weit kommen sollte, dass der Theaterverein eine Möglichkeit sah, sein Stück zu seinem Geburtstag aufzuführen. Nach der langen Amtszeit im Auswärtigen Dienst mangelte es ihm nicht an Geld. Er hatte nebenbei, auch als er noch ein ausgelassenes Leben lebte, immer etwas zur Seite gelegt. Die Scheidung hatte ihn selbstverständlich einiges gekostet, doch er hatte von seinen Ersparnissen noch genügend in Reserve.
Es war um den fünfzigsten Geburtstag von Sonja herum gewesen, als ihn der Verdacht beschlich, dass nicht mehr alles in Ordnung sei. Der Altersunterschied war eigentlich nie ein Hindernis gewesen – nicht bis zu diesem Zeitpunkt. Sie war fünfzig, er über sechzig. Mitarbeiter in der isländischen Botschaft in Schweden. Ein respektierter und hochgestellter Diplomat, der inzwischen einige Kilos zugelegt hatte und bei dem das Haar schon lange verschwunden war. Sie dagegen hielt sich unwahrscheinlich gut. Er wusste sofort, um was es ging, als sie eines Abends mit weicher Stimme sagte, dass sie über ihre Zukunft sprechen müssten. Sie hatte einen jüngeren Mann getroffen. Und zwar einen viel jüngeren, einen fünfundvierzigjährigen Ingenieur aus Oslo.
Das war ein großer Schock für Úlfur, auch wenn er schon länger vermutet hatte, in welche Richtung es ging. Er schlief tagelang nicht mehr, bat darum, zum ersten Mal seit langer Zeit, von der Arbeit freigestellt zu werden – lag zu Hause im Dunkeln und versuchte zu verstehen, was falsch gelaufen war.
Er hatte viele gute Jahre mit ihr verbracht. Gute zwanzig Jahre. Doch eigentlich wollte er noch mehr. Im tiefsten Inneren hatte er allerdings vom ersten Tag an gewusst, dass diese Beziehung nicht ewig dauern würde. Es hatte aber immerhin gute zwei Jahrzehnte gedauert, um das festzustellen. Die Scheidung verlief dagegen reibungslos. Sie zog direkt zum norwegischen Ingenieur. Úlfur blieb alleine zurück. Im Nu war er ein alter Mann geworden, versah seinen Dienst als Diplomat mehr aus Pflichtgefühl denn aus Vergnügen und wartete darauf, pensioniert zu werden.
Zwei Jahre später starb seine Mutter in Siglufjörður. Sie lebte noch immer in dem großen, alten Haus, war im hohen Alter im Schlaf verschieden. Úlfur nahm sich drei Wochen Urlaub und flog nach Hause nach Island, um sich um die Beerdigung zu kümmern. Er war ein Einzelkind – mit ihm würde diese Linie zu Ende gehen. So wie es gekommen war, war es ihm nicht vergönnt gewesen, Nachkommen zu zeugen.
Die Beerdigung fand an einem warmen Sommertag in der Kirche von Siglufjörður statt. Seine Mutter hatte viele Freunde gehabt und war sehr beliebt gewesen. Úlfur verspürte ohne Zweifel großen Kummer wegen des Verlustes seiner Mutter, er wusste aber auch, dass sie – direkt oder indirekt – sechzig Jahre darauf gewartet hatte, seinen Vater im Jenseits wieder zu treffen. Die Bestattung war schön, eine gute Freundin seiner Mutter, die sie von der Kirchenarbeit kannte, hatte ein schönes Solostück gesungen, und Hrólfur hatte sich angeboten, ein Gedicht vorzutragen. Ein schönes Gedicht aus dem berühmten Roman; die Lesung widmete er den Eltern von Úlfur.
Ein alter Schulkamerad von Úlfur, der nebenbei Immobilienmakler im Dorf war, bot sich an, das Haus zum Verkauf auszuschreiben. »Stattliches Haus in bester Lage im Dorf«, hieß es im Entwurf der Anzeige. »Ideal als großzügiges Sommerhaus.«
Úlfur erbat sich Bedenkzeit. Beschloß, im Dorf zu bleiben, bis sein Urlaub zu Ende ging. Es war lange her, dass er so viel Zeit in seinem Heimatdorf verbracht hatte. Er hatte jeweils versucht, seine Mutter einmal im Jahr zu besuchen – mal an Weihnachten, mal an Ostern oder den Sommer über und dann meistens mit Sonja. In anderen Jahren hatte seine Mutter sie im Ausland besucht, doch sie lehnte solche Einladungen schließlich ab, als sich ihre Gesundheit verschlechterte.
Das waren eher seltsame Wochen im alten Dorf. Während dieser Zeit spürte er den Verlust sehr stark. Vermisste seine Mutter, wie auch seinen Vater und das Dorf selbst.
Mindestens einmal am Tag ging er zur Brücke hinunter und schaute über den Fjord –
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