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Schneebraut

Schneebraut

Titel: Schneebraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ragnar Jónasson
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nicht sehr ernst, um ehrlich zu sein. Meinte, dass so was manchmal vorkäme, dass ein paar der Polizei wohl Bekannte einfach in das falsche Haus schlichen, wenn sie einen zuviel über den Durst getrunken hätten – er sagte, dass ich es einfach auf sich beruhen lassen solle; dass ich dankbar sein solle, dass er nicht zu mir ins Bett geschlichen sei, auf dem Weg ins Bett zu seiner Frau!«
    Sie lächelte.
    »Und was denkt Tómas …«, sie zögerte und fuhr dann fort, »… was denkt er über Hrólfur?«
    »Hrólfur?«
    »Ja – war es nur ein Unfall?«
    Er zögerte. Sie realisierte, dass es möglicherweise schwierig für ihn war, über einen Fall zu reden, der gerade untersucht wurde.
    Er antwortete mit einer Frage: »Ja, war es das nicht?«
    »Was glaubst du?«
    »Tómas ist sich sicher. Ganz sicher. Er möchte am liebsten nicht viel Aufhebens darum machen. Ich glaube, er findet es fast etwas unangenehm; ein bekannter Schriftsteller fällt die Treppe hinunter – betrunken …«
    »Wie Jónas?«
    »Wie Jónas.«
    »Aber was denkst du denn?«, fragte sie erneut.
    Er legte den Kopf in seine Hände, als ob er das Kopfweh mildern wolle. »Ich habe es mir eigentlich noch nicht wirklich überlegt.«
    »Es war sicher dieser Streit«, sagte sie schließlich.
    »Streit?«
    »Ja, zwischen Úlfur und Hrólfur.«
    »Nanu, davon habe ich nichts gehört«, sagte Ari. »Worüber haben sie denn gestritten?«
    »Alles und nichts, eigentlich. Doch es wurde ständig schlimmer, je länger der Abend dauerte. Sie waren oben auf dem Balkon, alle beide – miesepetrig und genervt. Hrólfur hat sich unglaublich in alles eingemischt; er hatte ganz offensichtlich getrunken – und Úlfur nervte wegen allem. Zum Schluss war es ein richtig lauter Streit. Ich kann mich noch gut daran erinnern, was Úlfur gesagt hat …«
    Sie zögerte einen Moment, fuhr dann aber fort.
    »
… du schweigst vielleicht, wenn du tot bist
. Da schwiegen alle. Úlfur machte kurz darauf eine Probenpause; eine Essenspause – und dann, ja … als wir wiederkamen, war Hrólfur tot.«
    »Du glaubst doch nicht etwa …«
    Sie wurde sich auf einmal bewusst, was ihre Worte eigentlich aussagten.
    »Nein, das kann nicht sein – außer vielleicht, ja, außer vielleicht, dass es unbeabsichtigt … ein Unfall …« Sie schwieg einen Moment und sagte dann: »Úlfur ging allerdings als Letzter, wenn ich mich richtig erinnere. Es war keiner mehr im Saal oder im Foyer, als Kalli und ich raus gingen – wir sind gemeinsam nach Hause gegangen, er wohnt nicht weit von hier, in der Þormóðsgata. Ich erinnere mich, dass Anna schon gegangen war, Pálmi war bereits draußen – aber Úlfur war noch oben auf dem Balkon bei Hrólfur … Er ist wahrscheinlich kurz nach mir gegangen.«
    »Ja«, sagte Ari. »Das war es wahrscheinlich.«

21. Kapitel
    Siglufjörður,
    Montag, 12 . Januar 2009
    Dicker Schnee verhüllte am Montagmorgen den Rathausplatz, es war noch nicht einmal sieben Uhr.
    Úlfur Steinsson ging tief in Gedanken versunken über den Platz und traf dort auf Pálmi, der aus der entgegengesetzten Richtung kam. Pálmi war größer als Úlfur, schlank, aber etwas gekrümmt und abgespannt; schien die Jahre wie eine schwere Last auf den Schultern zu tragen.
    Úlfur schaute zuerst auf, dann Pálmi. Sie nickten einander zu, langsam und ruhig, fast gleichzeitig, sagten nichts; als ob ein einziges gesprochenes Wort so früh am Morgen das Dorf aus der wohlverdienten Ruhe hätte aufwecken können.
    Ein Jahr, dachte Úlfur. Nur noch ein Jahr bis siebzig. Das Alter hatte angefangen, ihm zuzusetzen. Das musste er zugeben. Er sah es im Spiegel und spürte es im Alltag; kam mittlerweile zum Beispiel bei der kleinsten Anstrengung außer Atem.
    Es war windstill und schneite im Moment nicht. Úlfur trug normalerweise seinen schwarzen Filzhut, um die Glatze zu verbergen. Wenn er, was selten vorkam, in einem Schneesturm außer Haus gehen musste, blieb der Filzhut zu Hause, und er benutzte lieber dicke Ohrwärmer und eine Wollmütze.
    Wie zum Teufel war er hier gelandet, in Siglufjörður?
    Doch, er wusste es eigentlich ganz genau. Wusste, dass
er
allein für diese Entscheidung verantwortlich war, in den Norden nach Siglufjörður zu ziehen, nachdem er Rentner geworden war. An den Tagen, an denen er es bereute, fand er es am praktischsten, seiner ehemaligen Frau alles zuzuschieben.
    Sonja war zwölf Jahre jünger als er. Unglaublich schön, eigentlich so schön, dass er nie wirklich verstanden hatte,

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