Schneebraut
verschlechtere, wolle er nach Süden fahren dürfen. Es ist aber kein Kinderspiel im Moment, nach Reykjavík zu fahren, die Straßenverhältnisse sind schlimm, die Straße beinahe unbefahrbar. Ich habe heute Morgen auch den Jungen besucht. Der kleine Junge, der Linda gefunden hat. Da kam aber nicht viel dabei raus. Ich habe mit ihm und seiner Mutter geredet. Mir scheint, dass er gerade mal ein Auge auf sie geworfen hat, er ist auf irgendeinen Hügel geklettert und hat sie dort liegen gesehen … aber er ist bloß ein kleiner Junge; ich habe schon bessere Zeugen vernommen.«
»Wollen wir nicht loslegen?«, fragte Hlynur.
Tómas stand auf und wandte sich Ari zu: »Hlynur und ich werden uns nochmals die Wohnung vornehmen – wir müssen das eine oder andere mitnehmen; das Messerset zum Beispiel, vielleicht finden wir da ja auch noch ein paar Fingerabdrücke. Kannst du diesen Sturz im Theater nochmals genauer unter die Lupe nehmen?«
Hlynur schmunzelte, schien froh zu sein, bei der scheinbar wichtigeren Untersuchung dabei sein zu dürfen.
Ari hatte das untrügliche Gefühl, dass man ihn lieber im Sandkasten spielen ließ, während die Erwachsenen es mit dem richtigen Leben aufnahmen.
»Ja, kein Problem.«
Tómas legte seine Hand auf Aris Schulter.
Zum Teufel – es wurde nicht besser.
Tómas folgte ihm zur Tür und sagte mit leiser Stimme, so dass Hlynur es nicht hören konnte: »Dieser Anruf … am Heiligen Abend, haben wir das nicht richtig eingeschätzt? Was meinst du?«
Ari erinnerte sich deutlich daran, wie viel Unbehagen ihm das Gespräch bereitet hatte; das Flüstern … aber sie hatte der Polizei dann ja gesagt, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchte, als sie zurückrief. Und trotzdem …
»Doch, das haben wir.«
»Ja, dann also, sind wir ja einer Meinung.«
Waren wir das? War dem so?
»Wir hätten nichts tun können«, fügte Ari hinzu. Was hätten sie denn auch schon tun können? Ein Kartenhandy, prepaid, wahrscheinlich an einem Kiosk gekauft – unmöglich, dahinterzukommen, wer angerufen hatte.
Wir hätten nichts tun können.
Ari nutzte die Gelegenheit, als Tómas und Hlynur gegangen waren und suchte im Internet die Kamera auf dem Rathausplatz; jemand ging gerade quer über den verschneiten Platz in Richtung Rathaus. Es war schwierig, die Person auf dem Bildschirm genau zu erkennen – unwahrscheinlich, dass diese Kamera ihnen weiterhelfen könnte, selbst wenn es Aufnahmen von jenem schicksalsschweren Abend gäbe. Er fand eine Telefonnummer im Internet und rief an, erkundigte sich und fragte, ob es möglich sei, die Bilder früherer Aufnahmen anzuschauen. Die Antwort fiel negativ aus, da nur die direkte Ausstrahlung vom Platz gezeigt wurde, die aber nirgends gespeichert wurde.
***
Er hatte seit dem Kuss nichts mehr von Ugla gehört. Was nicht verwunderlich war, da er förmlich in die Nacht hinausgeflohen war, als ob er gebissen und nicht geküsst worden wäre. Die nächste Klavierstunde war am Sonntag. Sollte er dann einfach hingehen und so tun, als ob nichts gewesen sei? In welche Richtung ging ihre Verbindung eigentlich? Er hatte eine Freundin in Reykjavík, das durfte er nicht vergessen – durfte sich von der Entfernung nicht täuschen lassen. Doch hatte sie ihn nicht schon lange aufgegeben? Freundin zwar der Bezeichnung nach, aber nichts weiter. Oder wie?
Pálmi wohnte in einem schmucken Einfamilienhaus in der Hvanneyrarbraut, das nun wirklich zu groß war für einen alleinstehenden Mann, aber wiederum zu klein für eine große Familie. Sein Äußeres war gepflegt, er trug ein kariertes Hemd und eine graue Flanellhose. Er schien erstaunt zu sein, Ari zu sehen.
»Hallo, Pálmi; darf ich kurz bei dir reinschauen?«
»Was? Ja – warum denn? Ich habe Besuch – kann das nicht warten?«
Ari gab nicht auf. Er hatte den Auftrag bekommen und würde ihn zufriedenstellend erledigen.
»Es dauert nicht lange.« Er stellte seinen Fuß in den Türrahmen und lächelte. »Wir reden mit all denen, die am Freitagabend auf der Probe waren.«
Pálmi schien erschrocken zu sein.
»Nanu? Warum denn?«
»Nichts Ernstes – wir müssen die losen Enden verbinden. Den Fall abschließen.«
Eine klitzekleine weiße Lüge
.
»Na, dann komm rein.«
»Ich hoffe, ich mach dir keine allzu großen Umstände.« Ari schaute sich um. »Du hast Gäste, sagtest du?«
»Ja … die sind allerdings unten im Kellergeschoss, in der kleinen Wohnung da unten.«
»Ach so – Auswärtige«, sagte Ari und ließ das
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