Schneebraut
war gemütlich – die Vorhänge waren nicht zugezogen, und er sah, wie der Schnee sich nach und nach ansammelte, doch ihre angenehme Stimme schien das mulmige Gefühl zu dämpfen. Sie fragte nach Hrólfur, nach Linda – er hatte das Gefühl, dass er ihr vertrauen konnte, sich ihr anvertrauen konnte. Das einzige Thema, das nicht zur Diskussion stand, war der Kuss; er blieb irgendwo im Hintergrund, wie das Muster einer Wohnzimmertapete. Ugla hatte Kerzen angezündet, bot ihm Rotwein an. Er genehmigte sich ein Glas, meinte, dass er nicht zu viel trinken wolle, da er am nächsten Tag arbeiten müsse.
Ugla gab zu, dass sie dieser Tage manchmal Angst hätte, nach dem, was alles passiert war. Jetzt – nach den neuesten Nachrichten – waren die meisten der Meinung, dass Hrólfur ermordet worden war. Sie sagte, dass sie die Angst in der kleinen Dorfgemeinde spüren könne – die Angst, die sich Tag für Tag verstärkte, nachdem Linda bewusstlos im Schnee aufgefunden worden war.
Er hatte Lust, sie in den Arm zu nehmen. Ihr zu sagen, dass das alles schon wieder in Ordnung käme. Kristín rief nicht an. Er hatte es schon längst vergessen, dass er auf einen Anruf von ihr wartete.
Die Rotweinflasche war leer. Ugla holte eine weitere Flasche aus der Küche und setzte sich neben ihn auf das Sofa. Dicht an seine Seite.
Sie saßen eine Weile schweigend da. Er nahm einen Schluck Wein. Sie legte ihre Hand scheinbar wie zufällig auf sein Bein. Die Hand war warm. Sie fragte, ob der Wein nicht gut sei. Er lächelte, sah sie an. Sie küsste ihn leicht auf den Mund. Er legte den Kopf verwundert etwas zurück.
Ein weiterer Kuss. Er streichelte ihr über das lange, blonde Haar, nahm sie in den Arm und küsste sie. Ein langer, inniger Kuss.
Sie fühlte sich so warm an. Endlich ein Gegenstück zu all dem Schnee da draußen.
Vielleicht war das der Grund, warum er ja sagte, als sie ihn in ihr Schlafzimmer bat.
Nach diesem Abend überlegte er – öfter, als er zugeben wollte –, wann von Betrug die Rede sein konnte. Spielte es denn eine Rolle, ob er mit ihr geschlafen hatte oder nicht? Als er mit in ihr Schlafzimmer gegangen war, die Tür hinter sich geschlossen hatte, war da die Tat nicht schon längst begangen?
Konnte man eine Lawine als Entschuldigung gelten lassen? Eine Lawine, die hinter einem riesigen Berg runtergegangen war, so weit weg, dass er nicht einmal das Donnern davon hatte hören können, aber auch wiederum so nah, dass er den ganzen Tag nicht mehr klar hatte denken können.
Konnte man das tatsächlich als Entschuldigung gelten lassen?
33. Kapitel
Siglufjörður,
Montag, 19 . Januar 2009
Es hatte für kurze Zeit aufgehört zu schneien, als Ari am Montagmorgen durch die Schneewehen zur Arbeit stapfte. Er war verwirrt, um es gelinde auszudrücken. Dachte an Ugla und dann an Kristín, dachte an ihre möglichen Reaktionen. Tómas war auf der Wache, viel zu früh, wie gewöhnlich. Manchmal hatte Ari den Verdacht, dass Tómas mit Eheproblemen zu kämpfen hatte; er schien tatsächlich für die Arbeit und die damit verbundene Abwechslung zu leben. Bei der Arbeit konnte er sich über zudringliche Journalisten aufregen und sich dann gleich wieder beruhigen, wenn er eine Kaffeetasse in den Händen hielt.
»Sie rufen ständig an«, sagte er zu Ari, als dieser eintrat. »Diese verdammten Journalisten. Die werden wir nicht mehr los.«
»Ich habe gehört, dass viele im Dorf befürchten, dass Hrólfur ermordet worden ist, nach all diesen Neuigkeiten. Hast du auch davon gehört?«
»Und ob. Ich habe am Wochenende gehört, dass angeblich derselbe Mann, der Hrólfur getötet hat, auch Linda angegriffen hat. Was sagst du dazu, Meister?« Er schien sich schon wieder von den Journalisten erholt zu haben, hatte womöglich sogar seinen Spaß daran, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen.
»Ich bezweifle es … in dem Fall würde ich am ehesten Kalli diese Rolle zutrauen, doch er scheint unschuldig zu sein – zumindest, was den Angriff auf Linda angeht.«
»Ich habe selten einen schuldigeren Mann getroffen«, sagte Tómas und fügte hinzu: »Die aus Akureyri haben Kontakt aufgenommen, wollten jemanden herschicken, um uns bei den Ermittlungen zu helfen.« Es stand ihm ins Gesicht geschrieben, was er von diesem Vorschlag hielt. »Ich konnte nicht sehr viel mehr dazu sagen, als dass sie zuwarten sollten, wie sich die Straßenverhältnisse entwickelten. Sie sagten, sie würden sich wieder melden, wenn die Straße geräumt sei.
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