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Schneebraut

Schneebraut

Titel: Schneebraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ragnar Jónasson
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zuzuziehen«, sagte Ari, um das Eis zu brechen, »dann braucht man sich wenigstens den ganzen Schnee nicht anzuschauen, der sich vor dem Fenster so ansammelt.«
    Sie lachte verlegen.
    »Ja … nein, nein – ich mag den Schnee. Könnte am Fenster sitzen und ihn ununterbrochen anschauen. Ich wollte, ich wäre immer noch sieben oder acht und könnte hinausgehen und mich auf einem Schneebob die Hänge hinuntergleiten lassen.«
    »Ja, genau.« Er wünschte, er könnte dem Schnee ebenfalls so viel Positives abgewinnen.
    Sie setzten sich an den Küchentisch, der wahrscheinlich auch als Esszimmertisch diente, wenn man so wollte, ein dunkelbrauner Holztisch; eine Topfpflanze, die er nicht beim Namen nennen konnte, stand darauf.
    »Soll ich die Vorhänge öffnen?« Sie wollte aufstehen.
    »Nein, ganz und gar nicht – das ist schon in Ordnung so. Ich bleibe nicht lange – muss dir einfach nur ein paar Fragen stellen wegen Hrólfur.«
    Sie sagte nichts.
    »Wir haben heute eine Information erhalten, nach der Hrólfur vielleicht etwas entdeckt hatte, von dem er, tja, besser nichts erfahren hätte.«
    Sie nickte mit dem Kopf.
    »Hast du irgendein Gefühl, ob da so etwas war? Versucht jemand, in eurer Truppe etwas zu verbergen?«
    Ihre Augen schnellten hoch, doch sie versuchte, Ruhe zu bewahren, verneinte.
    »Bist du sicher?« Er fixierte sie mit seinem Blick, sie schaute weg, rieb die Hände aneinander.
    »Ganz sicher.« Sie legte eine Hand auf den Tisch und hob sie gleich wieder hoch, nasser Schweiß blieb zurück. »Ganz sicher«, wiederholte sie und versuchte, den Schweiß mit dem Ärmel wegzuwischen, so dass es nicht auffiel.
    »Glaubst du, dass jemand ihn gestoßen hat? Wollte jemand den alten Mann loswerden?« Seine Stimme klang fester, obwohl er sich jetzt selbst ziemlich mies fühlte, und das nur aus dem Grund, weil sie sich ziemlich mies fühlen musste. »Irgendein Geheimnis, das es zu bewahren galt – koste es, was es wolle?«
    Sie stand auf. »Entschuldige, ich hole mir nur rasch ein Glas Wasser.« Sie ging zum Spülbecken und drehte den Wasserhahn auf, bevor sie antwortete: »Es tut mir leid, das kann ich mir nicht vorstellen.«
    »Seid ihr immer gut miteinander ausgekommen, Hrólfur und du?«
    »Ja, klar.«
    Ari glaubte zu wissen, wo es bei Anna einen Schwachpunkt gab, und peilte ihn direkt an.
    »Spielst du die Hauptrolle in dem Stück, das ihr gerade probt?«
    »Nein.« Kurz und markant.
    »Nanu? Entschuldige, ich habe gedacht, dass … wurde sie dir vorgezogen, die Auswärtige?«
    »Ugla?«
    »Ja, Ugla, genau.«
    Ari wartete darauf, dass sie sich wieder setzen würde. Sie klammerte sich am Wasserglas fest.
    »War es Hrólfur, der das entschieden hat?«
    »Ja … ich denke, dass es eine gemeinsame Entscheidung war – von Úlfur und ihm.«
    »Du warst damit bestimmt nicht einverstanden.«
    Sie hielt das Glas noch immer fest umklammert.
    »Nein.«
    Ari schwieg. Wartete.
    »Nein«, wiederholte sie. »Es war sehr ungerecht. Sie hat es nicht verdient. Hrólfur hat sie natürlich sehr gemocht.«
    »Wie das denn?« Ari konnte aufatmen, es war also doch möglich, in diesem Dorf etwas geheim zu halten. Anna hatte allem Anschein nach nichts von seiner Freundschaft mit Ugla mitgekriegt.
    »Sie hatte ja die Wohnung bei ihm gemietet. Ich glaube, dass er sie mit der Zeit wie eine Art Tochter betrachtete.«
    »Hatte er keine Kinder?«
    Die Frage kam anscheinend für sie gänzlich unerwartet. »Nein, ich dachte, dass ihr das wisst.«
    Ari wechselte wieder zum ersten Thema.
    Das Eisen schmieden, solange es heiß ist.
    »Man könnte also sagen, dass deine Situation in gewisser Weise besser geworden ist, seit er tot ist.«
    »Wie meinst du das? Glaubst du, dass ich ihn gestoßen habe?« Anstatt wütend zu werden, wurde sie offensichtlich noch nervöser.
    »Nein, wirklich nicht.« Es reizte ihn, sie geradeheraus zu fragen, ob sie es denn getan habe, hielt sich aber zurück. Er durfte seiner Laune nicht einfach freien Lauf lassen. Musste sich selber eingestehen, wie unwahrscheinlich es war, dass ein junges Mädchen einen alten Mann die Treppe hinunterschubste, um die Hauptrolle in einem Stück eines Amateur-Provinztheaters in einem kleinen Dorf auf dem Lande zu ergattern. Aber es war offensichtlich, dass sie etwas zurückhielt. Hatte es etwas mit Hrólfurs Entscheidung zu tun, ihr die Hauptrolle nicht zu geben? Wollte sie dieses Gesprächsthema umgehen? Wollte sie einfach nicht zugeben, dass sie Hrólfur nicht mochte? Oder steckte

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