Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schneebraut

Schneebraut

Titel: Schneebraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ragnar Jónasson
Vom Netzwerk:
etwas anderes dahinter? Irgendein anderes Geheimnis, das kein Tageslicht vertrug?
    Schließlich trank sie einen Schluck Wasser. Den ersten Schluck. Ari hätte gerne ein Glas Wasser angenommen, wenn sie ihm eines angeboten hätte. Es war heiß in der kleinen Wohnung, alle Fenster waren geschlossen.
    Er hatte bemerkt, dass sie die Kleider gewechselt hatte; er konnte sich nicht mehr erinnern, was genau sie bei der Beerdigung getragen hatte, aber auf alle Fälle etwas anderes als den roten Wollpulli und die schwarze Sporthose, die sie nun trug. Ari war dagegen in seinem schwarzen Anzug gefangen wie in einem Albtraum.
    Es war nun genug der aufdringlichen Fragen. Er musste die Situation etwas entspannen; hoffte, dass sie von sich aus etwas sagen würde. »Studierst du noch oder arbeitest du?«
    »Ich arbeite. Ich habe die Uni im letzten Sommer abgeschlossen.«
    »Habe ich dich nicht neulich im Supermarkt gesehen?«
    »Doch, ich arbeite dort – und im Krankenhaus.«
    »Dann kennst du wohl auch Linda?«
    »Ja, wir arbeiten zusammen – wie geht es ihr eigentlich?«
    Sie schien aus ehrlicher Sorge heraus zu fragen.
    »Man kann es jetzt unmöglich schon sagen, wie es weitergeht.«
    »Habt ihr irgendeine Idee, wer das gewesen sein könnte?«
    »Das untersuchen wir gerade«, antwortete Ari kurz angebunden.
    »Hat er es getan? Kalli?«
    Ari versuchte, aus der Frage etwas herauszulesen. Vielleicht einfach nur Neugierde.
    »Nein, er ist unschuldig.«
    »Nanu … bist du da ganz sicher?«
    »Ja, es deutet alles darauf hin, dass er sich zu diesem Zeitpunkt woanders aufgehalten hat. Warum fragst du?«
    »Ja … eigentlich einfach so … ich habe einfach nur überlegt … überlegt wegen dieser Lebensversicherung.«
    »Lebensversicherung?«
    »Ja … aber dann ist das ja in Ordnung, wenn er unschuldig ist.«
    »Von welcher Lebensversicherung sprichst du?«, fragte Ari streng.
    »Diesen Herbst kam ein Vertreter in das Krankenhaus, hat Lebensversicherungen verkauft. Wir haben alle eine Versicherung abgeschlossen.«
    »Weißt du, wer sie ausbezahlt bekommt, wenn sie … wenn sie stirbt?«
    »Ja, Kalli bekäme das. Linda und ich haben das damals besprochen, als wir beschlossen haben, zuzuschlagen.«
    »Und weiß Kalli davon?« Vielleicht war sie nicht die richtige Person, um danach zu fragen, doch er versuchte es einfach.
    »Das weiß ich nicht«, antwortete sie, etwas aufgeregter, als die Situation es verlangt hätte.
    »Handelt es sich um einen hohen Betrag?«
    »Einige Millionen Kronen, wenn ich mich richtig erinnere.«
    Der Fall nahm immer wieder eine neue Wendung – immer wieder aufs Neue zeigten die Speere auf Kalli. Auf den Mann mit dem scheinbar perfekten Alibi. Zum Teufel nochmal. Ari verabschiedete und bedankte sich; obwohl ihm nichts angeboten worden war, hatte er doch eine reichhaltige Kost in Form von Informationen erhalten.
    Der Winter kam ihm entgegen, als er die Tür öffnete. Der Winter, in seiner ganzen Pracht oder mit all seiner Ungemütlichkeit.
    Eiskalte Dunkelheit umschloss ihn.

32. Kapitel
    Siglufjörður,
    Sonntag, 18 . Januar 2009
    Es hatte den ganzen Samstagabend bis tief in die Nacht hinein geschneit. Ari gelang es schließlich, einzuschlafen, nachdem er sich stundenlang zwischen den Kissen hin und her gewälzt hatte. Er hatte es aufgegeben, vor dem Schlafen noch zu lesen, hatte keine Ruhe, nicht, solange das Wetter so war. Er versuchte manchmal, klassische Musik einzuschalten, um die kreischende Stille des Schneetreibens zu übertönen, doch es war, als ob die Musik die Schwere noch verstärkte.
    Er war im Schwimmbad beim Training – trainierte das Tauchen –, mit einer Taucherbrille vor dem Gesicht schwamm er tiefer und tiefer hinab, bis er auf den Grund kam, schaute hinauf, genoss den Augenblick. Als er wieder hinaufschwimmen wollte, waren seine Füße auf einmal am Boden wie festgeleimt, fest, schwer wie Blei; seine Kameraden gelangten zur Oberfläche, er aber blieb auf dem Grund zurück – konnte sich nicht bewegen. Einmal mehr erwachte er mit dem Gefühl, gleich zu ersticken, ganz so als ob sich seine Lungen mit Schnee gefüllt hätten. Er beugte sich unwillkürlich im Halbschlaf über etwas im Bett. Kristín, vielleicht; irgendetwas Warmes.
    Er konnte nicht mehr einschlafen und stand in aller Herrgottsfrühe auf. Ausgerechnet er, der sich vorgenommen hatte, die arbeitsfreie Zeit zum Ausschlafen zu nutzen, sich zu entspannen nach einer schwierigen Woche. Es schneite noch immer; er setzte sich an den

Weitere Kostenlose Bücher