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Schneebraut

Schneebraut

Titel: Schneebraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ragnar Jónasson
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Wer sind die Erben?« Die Geduld Aris hing an einem seidenen Fädchen, er wollte jetzt umgehend eine Antwort.
    »Reich? Tja, wann ist man reich?« Þorsteinn schaute Ari mit fragendem Blick an, als ob er eine Antwort erwartete. Ari schwieg schweren Herzens, so dass Þorsteinn schließlich weitersprach: »Er war ganz gut gestellt, doch ich denke, dass er das Leben dennoch zu leben wusste – er reiste, genoss sein Leben. Hätte er weitergemacht mit Schreiben und weniger Zeit und Geld in das freizügige Leben gesteckt, dann wäre er sicher ganz wohlhabend gestorben – und da fragt man sich natürlich: Welcher Weg war denn nun der vernünftigere?« Er lachte leise. »Nun, genug geplaudert«, sagte er dann zu Aris Erleichterung, »dann wollen wir der Sache mal auf den Grund gehen.« Er öffnete den Umschlag und nahm ein handbeschriebenes Blatt heraus.
    »Sein Vermögen wird auf einige Freunde und Bekannte aufgeteilt.«
    Ari nahm sein kleines Notizbuch hervor, bereit, die wichtigsten Angaben mitzuschreiben.
    »Dann wollen wir einmal sehen. Er besaß Konten bei verschiedenen Banken und bei der Rentenanstalt, einige Millionen jeweils. Er wollte es nicht anlegen, sondern es seinen rechtlichen Erben zukommen lassen – er hat ein paar Verwandte im Süden, eine Familie mit kleinen Kindern, die es finanziell nicht einfach haben, so wie ich es verstanden habe – er meinte, dass sie es gut gebrauchen könnten.«
    »Er hatte also selber keine Kinder, oder wie?«
    »Nein, keine Kinder.«
    »Bist du dir da ganz sicher?«
    »Ja – ja, so sicher, wie man nur sein kann. Vermutest du etwas anderes?« Er fixierte ihn mit zusammengekniffenen Augen, als ob er wie in seinen jüngeren Jahren vor Gericht in einem wichtigen Fall die Rolle des Verteidigers innehätte.
    »Nein, nein«, log Ari. »Überhaupt nicht.«
    Der Anwalt runzelte die Stirn und fuhr dann fort: »Dann haben wir das Urheberrecht seiner Bücher. Des einen Buches, vor allem. Die Kurzerzählungen haben sich so gut wie gar nicht verkauft – und der Gedichtband auch nicht.«
    »Und wer bekommt das Urheberrecht?«
    »Der alte Pálmi – ja, alt oder nicht alt –, er ist jünger als ich, der Gute. Kennst du ihn?«
    »Ja, ich habe ihn getroffen. Weißt du, warum Hrólfur ihn ausgewählt hat?«
    »Nein, ich habe keine Ahnung – ich kenne die Hintergründe nicht.«
    »Und hat dieses Urheberrecht irgendeinen Wert?«
    »Das kann ich nicht sagen. Vielleicht werden jetzt wieder ein paar Exemplare verkauft, jetzt da er gestorben ist, aber seine Zeit ist ansonsten leider vergangen, und ich denke kaum, dass das Urheberrecht viel hergeben wird; zumindest nichts Nennenswertes, ein paar Kronen hier und da vermutlich. Nicht so wie früher, als er der Ehrengast bei Cocktailpartys auf der ganzen Welt war.«
    Ari seufzte. Damit schien Pálmi keinen guten Grund zu haben, um den Schriftsteller die Treppe hinunterzustoßen.
    »Hat er sonst noch etwas besessen?«, fragte er dann.
    »Ja, da ist natürlich noch der Wein – die hervorragendste Weinsammlung des Dorfes, und wahrscheinlich auch der weiteren Umgebung, wenn man danach suchen würde.«
    Ari wartete. Der Anwalt machte eine lange Pause, als ob er sich im Gerichtssaal befände.
    »Úlfur bekommt den Wein.« Er wollte anscheinend etwas hinzufügen –
Schwein gehabt, der gute Kerl
–, aber Aussagen wie diese schienen in dieser Situation nicht angebracht zu sein. »Diese Flaschen haben einen Wert von mehreren Millionen, doch ich bezweifle, dass Úlfur sie zu Geld machen wird. Es wäre schade, eine solche Sammlung guter Tropfen zu verkaufen.«
    »Und das Haus? Besaß er nicht auch das Einfamilienhaus?«
    »Ja, ganz genau. Schuldenfrei sogar.«
    »Geht das ebenfalls an die Verwandten?«
    »Nein, das nicht. Das hat mich ein wenig überrascht, um ehrlich zu sein – und mich überrascht heutzutage nicht mehr viel.«
    Aris Herz tat einen Sprung, als Þorsteinn den Namen der Erbin nannte. Ari war erstaunt.
    »Sie heißt Ugla«, wiederholte Þorsteinn. »Ein junges Mädchen.«
    Ari schwieg, ihm war auf einmal schwindelig.
    »So unwahrscheinlich es auch klingen mag, so entspricht es doch der Wahrheit«, sagte der Anwalt. »Sie bekommt das Haus, die Wohnung und den Wagen, den alten Benz – er ist vielleicht nichts mehr wert, aber das Haus ist ganz stattlich.«
    Der Rest des Gesprächs ging an Ari vollständig vorbei. Er konnte an nichts anderes mehr denken als an Ugla. Hatte sie das gewusst? Hatte sie ihn hinters Licht geführt, ihn absichtlich bei

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