Schneebraut
lag eine dünne, grüne Ledermappe. Es war weder ein Computer noch eine Schreibmaschine zu sehen, hier schien alles nach alter Manier vor sich zu gehen. Þorsteinn hatte sich in seinen gewaltigen Schreibtischstuhl gesetzt, die grüne Mappe auf dem Tisch geöffnet und einen großen Umschlag aus der Schreibtischschublade herausgefischt.
Ari setzte sich ihm gegenüber und wollte gerade die erste Frage stellen, als Snjólaug mit einem Tablett in das Arbeitszimmer kam, das sie vorsichtig auf den Schreibtisch an die Seite stellte. Auf dem Tablett waren zwei Tassen mit dampfendem Kaffee, ein Teller mit einigen frisch gebackenen Plinsen und ein kleines Zuckergeschirr. Es hatte anscheinend keinen Sinn, in diesem Haus Kaffee und Süßes abzulehnen. Ari lächelte, bedankte sich und nahm einen Schluck Kaffee.
»Möchtest du vielleicht ein bißchen Milch?«, fragte Snjólaug.
»Nein danke, das ist gut so«, antwortete Ari.
Sie lächelte und verschwand.
Die einzige Wand, die nicht vom Boden bis zur Decke mit Büchern bedeckt war, war zweigeteilt, der obere Teil war mit einer weißen Tapete mit einem feinen Blumenmuster ausgekleidet, der untere Teil, mit einer schwarzen Leiste abgetrennt, war schwarz gemalt. An den Wänden waren goldene Wandlampen angebracht, und dort befand sich ebenfalls das einzige Fenster des Raumes; hinter den dicken Gardinen war das weiße Fensterbrett zu sehen.
»Wie läuft es mit den Ermittlungen bei euch?«, fragte der Anwalt, etwas müde im Gesicht, aber dennoch offensichtlich zufrieden, dass er zu dem Fall etwas beitragen konnte.
»Wir kämpfen uns voran. Ein Schritt nach dem anderen – möglicherweise war es ein Unfall. Hrólfur hat also ein Testament verfasst?«
»Sehr richtig, sehr richtig.« Þorsteinn nahm den Umschlag zur Hand und schien den richtigen Augenblick abzuwarten, wollte seinen Trumpf nicht sofort ausspielen. »Nimm dir gerne von den Plinsen.« Er nahm sich selber eine, legte sie zusammen und aß sie mit beinahe nur einem Bissen.
»So was bekommt man ja nicht jeden Tag, wenn man in meinem Alter ist. Da muss man auf die Ernährung achten.«
»Ist es schon lange her?«, fragte Ari. »Seit er das Testament verfasst hat?«
»Tja, nein – nicht sehr lange. Ungefähr zwei Jahre. Wir sind uns über den Weg gelaufen, und er hat mir erzählt, dass er den Wunsch habe, endlich ein Testament aufzusetzen. Er meinte, er sei ja schon so verdammt alt, so hat er es formuliert.« Þorsteinn lächelte bei dem Gedanken an die Erinnerung, lächelte müde, wie es auch sonst seinem Gesichtsausdruck entsprach.
»Bevor ich es vergesse … möchtest du vielleicht eine kleine Stärkung fürs Herz in deinen Kaffee, mein Freund?« Er drehte sich zum Bücherschrank hinter dem Schreibtisch um, die meisten Bücher schienen juristischer Art zu sein – die Sammlung des Höchsten Gerichts in einer schön gebundenen Ausgabe füllte einige Regale. Er nahm die Gerichtsurteile von 1962 aus dem Regal und streckte sich nach einer kleinen Schnapsflasche, die hinter dem Buch versteckt war.
Ari lächelte über das ganze Gesicht. »Nein, vielen Dank – ich bin mit dem Wagen hier.«
Und im Dienst
.
»Wie du möchtest.« Er gab einen kleinen Spritzer in seinen Kaffee. »So, dann wollen wir fortfahren … Er hat mich also, wie gesagt, darum gebeten, sein Testament zu Papier zu bringen – ich habe hier im Dorf verschiedene kleine Dienste ausgeführt, nachdem ich meine Kanzlei in Akureyri geschlossen hatte. Es tut ganz gut, sich in seinem Fach ein bisschen à jour zu halten.«
»Dieses Testament hat bisher niemand erwähnt. Es ist anscheinend geheim gehalten worden.« Aris Feststellung war eigentlich eine Frage.
»Ja, Hrólfur bat mich darum, den Inhalt des Testaments geheim zu halten. Er hat eigens betont, dass er niemandem davon erzählen würde – zuallerletzt denen, die ihn beerben würden. Es wusste niemand von diesem Testament außer wir vier.«
»Ihr vier?«
»Ja, Hrólfur, meine Frau, Guðrún, eine Krankenschwester im Krankenhaus, und ich. Snjólaug und Guðrún waren die Zeugen. Ich vertraue beiden bedenkenlos. Guðrún kommt schon seit Jahren jede Woche zu uns. Ich kann dir versichern, dass niemand von diesem Testament gewusst hat, außer Hrólfur, den Zeugen und ich.«
Das werden wir ja sehen
. Wenn es etwas gab, das Ari während seiner Zeit in Siglufjörður gelernt hatte, dann war es die Tatsache, dass Geheimnisse sich rasch in so einer kleinen Dorfgemeinschaft verbreiteten.
»War Hrólfur reich?
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