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Schneeflockenbaum (epub)

Schneeflockenbaum (epub)

Titel: Schneeflockenbaum (epub) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marten t Hart
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immer auf der sonnigen Seite der Straße zu gehen, und deshalb bemerkte ich erst spät eine Gruppe Mädchen, die auf der Schattenseite aus der Nieuwstraat auf die Hooglandsekerkgracht bog. Jemand rief meinen Namen, die Mädchen winkten, und ich blinzelte gegen das Sonnenlicht. Ich befand mich in Höhe der lutherischen Kirche, also zu weit entfernt, um ein paar Worte zu wechseln. Was ich sah, raubte mir den Atem. Es war, als kämen die Mädchen geradewegs aus der Carnaby Street. Und inmitten der Flowerpowermädchen spazierten, als wäre es das Normalste auf der Welt, Jouri und Tina.
    »Hast du es also doch geschafft, Hilfstruppen zu mobilisieren«, flüsterte ich Tina in Gedanken zu, »und führt ihr nun den ersten reuigen Sünder mit euch?« Schon waren sie an mir vorüber, und ich schaute mich nach den betörend ausstaffierten Flirty-Fishing -Proselyten um; auch Tina schaute zurück und winkte übermütig. Ich winkte ebenfalls, und aus der Tiefe brodelte etwas empor, das drauf und dran war, »wie ein Räuchopfer« meinen Leib zu verlassen, doch dann blieb es doch bei einem tiefen, schmerzlichen Seufzer.
    Es erschien mir nicht undenkbar, dass Jouri auf dem Nachhauseweg zufällig inmitten der Blumenmädchen gelandet war, doch wahrscheinlicher war, dass er Tina schon öfter begegnet war, etwa bei Treffen ehemaliger Austauschstudenten, Nein, diesmal war er nicht mit einer meiner Freundinnen unterwegs, aber dennoch ärgerte es mich enorm, dass er dort, von all den entzückenden Flowerpowerwesen umringt, so feierlich herumspazierte. Wenn schon jemand inmitten dieser Mädchen umhergehen durfte, dann hatte ich die älteren Rechte. Es war fast, als hörte ich sie singen: »Komm! Komm! Holder Knabe, lass mich dir blühen! Dir zur Wonn und Labe gilt mein minniges Mühen.« Endlich weiß ich, was er ist, dachte ich: ein »reiner Tor«. Und dann ging mir durch den Kopf: Ach, das hab ich doch immer schon gewusst.
    Und während ich all dies dachte, kam mir ein Urbild in den Sinn: Jouri, am Ufer eines schlammigen Entwässerungsgrabens hockend, und ich bis zur Hüfte darin, während er voller Bewunderung, aber auch besorgt meine Aktivitäten beobachtet.

Prüfung
    V on meinem Studienfreund Gerard hörte ich, dass Toon, der mich aus seinem Blickfeld verstoßen hatte, seiner Tiersammlung ein ungewöhnliches Balkanreptil hinzugefügt hatte.
    »Er hat es aus Griechenland rausgeschmuggelt«, sagte Gerard, »darauf ist er ziemlich stolz. Wenn du ihn auf der Straße triffst, lädt er dich sofort ein, die widerliche Schleiche zu betrachten.«
    Würde das, wenn ich Toon träfe, auch für mich gelten?
    Das schien mir praktisch ausgeschlossen. Am Pieterskerkhof hatte man mich weggeschickt, und das schmerzte mich noch immer, gerade weil mir nur allzu bewusst war, dass ich den Leuten seinerzeit viel zu oft auf die Pelle gerückt war.
    Als ich Toon jedoch eines späten Nachmittags beim Bierbengel auf der Langebrug traf, da rief er schon von Weitem: »Bist du in Eile, oder hast du Zeit, dir ein außergewöhnliches Reptil vom Balkan anzusehen?«
    »Gerard hat mir schon davon erzählt«, sagte ich, »du hast es in Griechenland gefangen.«
    »Irgendwann habe ich es auf der Straße gefunden. Möglicherweise wurde es von einem Auto angefahren. Verletzt war es offenbar nicht, aber es konnte sich kaum bewegen, und wenn ich es liegen gelassen hätte, wäre es bestimmt platt gefahren worden. Also habe ich es mit ins Hotelzimmer genommen und mit Hackbällchen aufgepäppelt, bis es wieder kriechen konnte. Ich hätte es dort natürlich in irgendeinem dichten Gesträuch aussetzen müssen, aber das hab ich nicht übers Herz gebracht. Ich hing schon zu sehr an dem Tier ... Ach, es ist so ein kleiner Kerl, so ein süßes Tier ... Komm doch mit, du musst es dir ansehen.«
    Kurz darauf betrat ich den halbdunklen Flur mit seinen im Schein einer Sechzig-Watt-Birne matt glänzenden Waffen. Ich hatte nicht gedacht, dass ich die noch einmal zu sehen bekäme. Toon führte mich ins Wohnzimmer, bat mich, auf der Couch Platz zu nehmen, holte aus der Küche ein rohes Hackbällchen und rief nach seinem neuen Haustier.
    »Eigentlich müsste es irgendwann Lebendfutter bekommen«, meinte Toon, »doch vorerst gedeiht es auch mit Hackbällchen hervorragend.«
    »Was für Lebendfutter? Schnecken?«
    »Junge Mäuse, junge ...
    »… Ratten?«
    »Oh, das wäre wunderbar.«
    »Kein Problem. Die kann ich besorgen. Im Labor züchten wir Ratten für die Forschung. Ich könnte dir hin

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