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Schneeflockenbaum (epub)

Schneeflockenbaum (epub)

Titel: Schneeflockenbaum (epub) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marten t Hart
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und wieder überzählige Jungtiere beschaffen.«
    »Wenn du das irgendwann tätest, stünde ich tief in deiner Schuld.«
    Merkwürdig, dachte ich, dass er es schafft, den Ausdruck »irgendwann« in fast jedem Satz unterzubringen. Das rührte mich: Er war immer noch derselbe herzensgute, hochintelligente, riesige, nette Toon, der mich seinerzeit im Berkendaalsteegje, wahrscheinlich unbeabsichtigt, in eine tiefe existenzielle Krise gestürzt hatte. War es möglich, dass diese bizarre Wunde durch die regelmäßige Beschaffung von Beifutter für sein griechisches Reptil doch noch geheilt wurde?
    »Wo Balco nur steckt?«, fragte Toon. »Hier, halt du mal kurz das Hackbällchen, dann schau ich hinter der Heizung nach. Meistens döst er dort vor sich hin, weil es da so schön warm ist.«
    Er drückte mir das vorbereitete Fressen in die Hand, bückte sich und schaute hinter den Heizkörpern nach. Plötzlich hörte ich ein seltsames Rascheln, ging aber davon aus, dass Toon dieses Geräusch machte. Ich war daher vollkommen überrascht, als eine erstaunlich große Schlange sich auf der Rückseite der Couch über den Breitcordbezug hocharbeitete, blitzschnell über meine Schulter und an meinem Hals vorbeikroch und dann erst in meinem Blickfeld auftauchte, um anschließend das Hackbällchen aus meinen Fingern zu reißen. Obwohl ich vor Schreck fast ohnmächtig war, wusste ich sofort, dass Toon mir das Hackbällchen nur gegeben hatte, um sein Haustier genau dazu zu bringen.
    Und wenige Augenblicke zuvor habe ich noch gedacht, was für ein herzensguter Kerl er doch ist, schoss es mir durch den Kopf, dieser Scheißkerl mit seinem Gruselreptil.
    »Du wirkst ziemlich unbeeindruckt«, grinste Toon. »Die meisten anderen Kommilitonen, die hier waren, haben sich mehr oder weniger zu Tode erschrocken.«
    »Was für eine Gemeinheit!«, schimpfte ich. »Aber trotzdem, ein herrliches Tier. Worum handelt es sich genau?«
    »Eine Natter, eine Vierstreifennatter, um genau zu sein.«
    »Du lockst also all deine Mitstudenten hierher, setzt sie mit einem rohen Hackbällchen auf die Couch, damit dieses Monster irgendwann, um dein Wort zu verwenden, auftaucht, um ihnen über die Schulter ...
    »Es ist ein so herrliches Schauspiel. Die Schlange kennt den Weg schon, sie klettert hinten an der Couch hoch und stürzt sich dann jedes Mal, die linke Schulter als Angriffsbasis nutzend, auf das Bällchen. Du hättest mal sehen sollen, wie Rineke gesprungen ist. Die war noch eine halbe Stunde später fix und fertig. Ich hab sie mit einem Glas Wasser wieder in diese Welt zurückholen müssen.«
    »Du bist ein Sadist.«
    »Man kann irgendwann genau sehen, wer zur Population der Kaltblütigen gehört und wer nicht. Gerard machte keinen Mucks, gut, du hast dich ziemlich erschrocken, bist aber nicht in Panik geraten. Cees war wütend, Ada begann zu kreischen, Joan schlug mir beinah die Brille von der Nase, und Julia ...
    »Aha, Julia hast du also auch dieser Prüfung unterzogen?«
    »Ich traf sie in der Breestraat«, erwiderte er.
    »Und wie hat sie reagiert?«
    »Sie fand es herrlich, sie streichelte meine Neuerwerbung, kein Schrei, kein Vorwurf, nichts, nur ein breites Lächeln.«

Vierstreifennatter
    D ank der Vierstreifennatter wurde der Kontakt zu Toon wiederhergestellt. Mit einem Nest voll überzähliger Rattenbabys begab ich mich alle zwei Wochen zur Pieterskerkgracht. Es war erstaunlich, wie schnell die Schlange begriff, dass sie, wenn sie mich im Wohnzimmer entdeckte (oder erschnüffelte, wer kann das sagen?), ein Festmahl vorgesetzt bekam. Mit einem seltsamen Geräusch, so als scheuerten Metallplättchen aufeinander, kam sie angekrochen. Oder sie tauchte knisternd wie ein Schweißgerät hinter einem Heizkörper auf. Das Ringelschwänzchen zwischen Daumen und Zeigefinger, hielt ich ihr dann so eine frischgeborene Aprikose vors Maul. Andächtig, in geweihter Ruhe, fixierte die Schlange die zappelnde, piepsende Beute. Anschließend schlug sie, plötzlich und jedes Mal überraschend, oder wie Toon sagte »rein stochastisch«, zu.
    Das Füttern war gar nicht so einfach. Es kam darauf an, dass die Natter die Ratte in einem Mal und so gerade wie möglich zu packen bekam. Für die kleine Ratte war dies natürlich der schnellste Weg, von ihren Leiden erlöst zu werden, vor allem deshalb, weil die Schlange sich, wenn die Ratte schief in ihrem Maul landete, nicht recht zu helfen wusste. Ein Säugetier verfügt über Vorderpfoten, mit denen es sich die Beute ins

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