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Schneeflockenbaum (epub)

Schneeflockenbaum (epub)

Titel: Schneeflockenbaum (epub) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marten t Hart
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45er-Schallplatte.«
    »Mensch Meier!«
    Dann folgte ein längeres Schweigen. Schließlich fragte er uns barsch: »Ehrlich erworben?«
    »Für ein Paar Socken bekommen.«
    »Welcher Idiot gibt eine Schallplatte für ein Paar Socken her?«
    »Puk Corporaal.«
    »Der hatte schon immer eine Schraube locker. Aber das stellt alles in den Schatten. Jetzt können sie ihn gleich nach Delft ins Irrenhaus bringen.«
    Das fanden wir auch, denn wir konnten es ebenso wenig verstehen. Vorsichtig gingen wir mit der Schallplatte zum Zuiddijk. Nachdem wir sie äußerst behutsam aus der Hülle hatten gleiten lassen, betrachteten wir die Scheibe zunächst von allen Seiten. Es stand nichts anderes darauf als »Seite A« und »Seite B«. Wir stellten den Plattenspieler auf 45 Umdrehungen pro Minute und legten die Platte ehrfurchtsvoll auf den Drehteller. Wir schalteten den Plattenspieler ein und ließen ihn zunächst warm laufen und setzten dann – na ja, wir, das alles tat natürlich Jouri, denn nur seinen geschickten Fingern konnte man solch delikate Aufgaben anvertrauen – unendlich vorsichtig die Nadel in die Rille.
    Das alles geschah vor gut einem halben Jahrhundert, doch wenn ich jetzt daran zurückdenke, schießen mir unweigerlich die Tränen in die Augen. Zunächst hörten wir nur das starke Rauschen der Nadel in der noch leeren Rille. Dann erklangen, erst noch zögernd und zurückhaltend, doch allmählich immer klarer und deutlicher, einige Streichinstrumente in dem Rauschen, und es schien fast, als pickten sich die Streicher aus dem riesigen Angebot an Tönen genau die Noten heraus, auf die es ankam. Immer höhere Noten spielten sie und sanken dann wieder hinab, nur um gleich wieder aufs Neue nach dem Mond und den Sternen zu greifen. Und danach ging es wieder von vorne los. Erneut die gleichen Riesenschritte, als sollte mir auf diese Weise eingeprägt werden, dass sich in meiner Seele Kräfte verbargen, von denen ich bis dahin nichts gewusst hatte. Und nicht nur Kräfte, sondern auch Schmerzen, die lieblich gelindert wurden von der Musik, die sie gleichsam hervorrief.
    Dann war die A-Seite zu Ende, und Jouri meinte ziemlich enttäuscht: »Geigenmusik.«
    Er drehte die Platte um, und wieder erklang dieselbe wunderschöne Riesenschrittmelodie, nun umspielt von quirligen Motiven, die darum herum perlten.
    Als es vorbei war, sagte ich heiser: »Noch mal.«
    »Bist du sicher? Es ist klassische Musik, denke ich.«
    Für mich hatte der Ausdruck »klassische Musik« keine Bedeutung. Für mich galt nur, was ich sicher wusste: Das will ich noch mindestens tausendmal hören.
    »Bitte, noch mal«, flehte ich ihn an.
    Jouri drehte die A-Seite nach oben, und es fing wieder an, über das kräftige Rauschen hinaus, das ruhige, mutige, kraftvolle Gebet zu einem Gott, von dessen Existenz ich bis zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung gehabt hatte.
    Weder auf der Platte noch auf der Hülle fanden sich irgendwelche Hinweise darauf, welche Musik die verstaubten Rillen enthielten. Mich kümmerte das nicht. Es war mir damals kaum bewusst, dass ein gewöhnlicher Mensch aus Fleisch und Blut für das Entstehen dieser Musik verantwortlich war. Das Wort »Komponist« fehlte in meinem Wortschatz.
    Was mich allerdings bekümmerte, war, dass die Musik Jouri kaum berührte. Voller Erstaunen und auch ein wenig misstrauisch beobachtete er, wie angetan ich war. Er klopfte mir auf die Schulter. Es war, als wollte er sagen: Kopf hoch, so schlimm ist das alles nicht. Auch seine beiden Schwestern und seine Mutter runzelten die Stirn, als sie die Riesenschrittmusik hörten.
    Jouris Vater jedoch, der sonst immer so mürrisch, so brummig, so schweigsam war, ihm klappte, als er ins Wohnzimmer kam und gerade noch die letzten Töne hörte, langsam die Kinnlade herunter. »Lass die Platte noch mal von vorne laufen«, befahl er barsch.
    Und da kam es wieder. Ich konnte bereits mitsummen, leise mitpfeifen, wodurch die Musik noch ergreifender wurde, sosehr ich mich auch dafür schämte, dass mein leises Mitpfeifen in Mitflennen ausartete.
    »Verdammt schönes Stück«, sagte Jouris Vater mit belegter Stimme.
    »Auf der Rückseite geht es noch weiter«, sagte ich.
    »Umdrehen«, kommandierte Jouris Vater.
    Ich bemerkte einen Tränenschleier in seinen Augen. Gewiss, im Krieg war er ein übler Kollaborateur gewesen, und das blieb unverzeihlich, aber dennoch betrachtete ich ihn auf einmal mit ganz anderen Augen.
    Nachdem der letzte Ton verklungen war, fragte er: »Steht nicht drauf,

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