Schneeflockenbaum (epub)
bekam etwas wieder, das vollkommen präsentabel aussah. Doch Stalins Fahrrad, nach Ansicht von Fachleuten nichts anderes als ein Haufen rostiges Alteisen, hatte sich in ein glänzendes Prachtrad verwandelt.
»Es sieht aus wie ein Sommergoldhähnchen«, meinte mein Vater verblüfft, und ich sagte lieber nicht, dass dies in meinen Augen ein seltsamer Vergleich war.
Während Josef Stalin früher, immer wenn er den Afrol hinauf nach Hause wollte, absteigen und sein bleischweres Rad schieben musste, konnte er jetzt, wenn er auf dem Jokweg Schwung holte, im Sattel bleiben und mühelos auf den Zuiddijk fahren. Ich glaube, das hat uns am meisten erstaunt.
»Man könnte meinen, dieser Kerkmeester hat ihm einen mechanischen Hund eingebaut«, sagte mein Vater. »Wie eine Zwerghuhndaunenfeder schwebt er nach oben.«
Wie viel das Aufmöbeln gekostet habe, wollten die Maassluiser von Josef Stalin wissen.
»’nen Fuffie«, sagte Josef, der nicht preisgeben wollte, dass er mit seinem Nachbarn bereits auf so gutem Fuß stand, dass der ihm das Rad umsonst auf Vordermann gebracht hatte.
In dem Reklameblatt De Schakel stießen die Maassluiser auf eine Anzeige, der sie entnehmen konnten, dass man, zu einem absoluten Kampfpreis, bei Jo Kerkmeester sein Rad aufmöbeln lassen konnte.
Danach wurden all die prinzipientreuen Maassluiser scharenweise schwach, und einer nach dem anderen fuhr auf einem Rad, das funkelte, flimmerte, glänzte und glitzerte und dessen Rahmen und Schutzbleche mit wunderschönen Goldstreifen verziert waren. Denn auf die fast fluoreszierenden Streifen, darauf waren die Maassluiser ebenso versessen wie seinerzeit ihre Vorfahren auf die feuerroten Verzierungen in den Islandsocken. Zwei schnurgerade parallele Goldstreifen auf Rahmen und Schutzblech, die waren ihnen beinahe wichtiger als ein bequemer Sattel und federleichtes Treten.
Gewiss, hier und da erhob ein Einzelner die Stimme und wies auf die mehr als zweifelhafte Vergangenheit des Fahrradmonteurs hin, aber die Kerkmeesters brauchten dennoch keine Socken mehr herzustellen, ganz zu schweigen davon, dass sie noch Erbsen sortieren mussten.
Ich hatte zu Hause von der Sockenstrickmaschine erzählt. Meine Mutter war darauf angesprungen und hatte wehmütig gerufen: »Ach, so eine Maschine hatten wir früher in der Heerenlaan auch!« Dies hatte ich wiederum auf dem Zuiddijk berichtet, und als die Maschine dort nicht mehr benötigt wurde, fragte Jouris Mutter, ob meine Mutter sie nicht übernehmen wolle. Es kann übrigens sehr gut sein, dass sie meine Mutter auf diese Weise ein wenig für sich einnehmen wollte.
So gelangten wir in den Besitz einer Sockenstrickmaschine, auf der meine Mutter, bis sie Parkinson bekam, für meinen Bruder und mich Socken fabriziert hat. Keine überragenden Jourisocken, aber durchaus solide Schlumpsocken.
Nachdem die etwas begüterten Maassluiser ihre Drahtesel hatten aufmöbeln lassen, verloren sie plötzlich den Spaß an ihren mit doppelten Goldstreifen verzierten Fahrrädern. Eine neue Mode erschien am Horizont: die Solex.
Wer sollte in Maassluis die Solex-Vertretung übernehmen? Vlielander? Kerkmeester? Aufgrund seiner umstrittenen Kriegsvergangenheit kam Letzterer natürlich nicht in Betracht. Aber Vlielander war alt und brummig, und er hatte keinen Nachfolger. Er schied also auch aus. Maassluis musste also auf einen Solex-Händler verzichten. Wer ein solches Wunderding anschaffen wollte, der musste zum Motorhome Henk Vink in Maasland. Ab und zu rauschte Henk Vinks Sohn – möglicherweise handelte es sich dabei um eine Reklameaktion – auf einer Mini-Solex, die sein Vater extra für ihn in Kindergröße gebaut hatte, quer durch Maassluis hindurch zur Mole. Wer ihn vorbeiflitzen sah, wischte sich den Sabber aus den Mundwinkeln und wollte auf der Stelle zu Fuß in das zwei Kilometer entfernt gelegene uralte Dorf Maasland gehen. Kein Problem natürlich, denn was ist angenehmer, als an einem sonnigen Samstagnachmittag auf dem Treidelpfad entlang des Zuidvliet, vorbei an der Wippersmühle, zum Motorhome Henk Vink zu spazieren? Gegenüber der Auktionshalle lag, von Trauerweiden flankiert, der Ausstellungsraum glitzernd am Wasser. Dort erwarb man dann auf Raten eine Solex, mit der man strahlend am Noordvliet entlang über den »Wegt« zurückfuhr, in der Hoffnung, dabei von möglichst vielen Mitbürgern gesehen zu werden.
Leider zeigte sich bald, dass ein solcher Spaziergang von gut anderthalb Kilometern längst nicht so schön war,
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