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Schneeflockenbaum (epub)

Schneeflockenbaum (epub)

Titel: Schneeflockenbaum (epub) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marten t Hart
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verblüffend fröhlich sie angesichts ihrer Neigung zur Melancholie war. Wer verstand es, ihre hypochondrische Seele so angenehm zu kneten und zu formen, dass sie in höhere Sphären aufstieg? Hatte sie mich, nachdem wir einander wegen Mozarts Geschnörkel nicht in die Arme gefallen waren, bereits nach so kurzer Zeit durch einen neuen möglichen Liebhaber ersetzt?
    Weil das Restaurant aus zwei voneinander getrennten Abteilungen besteht, kann man durch den einen Speisesaal hindurch bis ganz nach hinten zur Küche gehen und von dort in den anderen Speisesaal gelangen. Ich durchquerte also den Teil, wo Julia und ihr Begleiter nicht saßen, ging kurz um die Ecke und warf einen Blick auf Julias Tisch. Von ihr und ihrem Tischnachbarn konnte ich nur die rot beleuchteten Scheitel sehen, doch das war bereits mehr als genug, um zu wissen, mit wem Julia da einen so netten Abend verbrachte.
    »Mein Herr, wollen essen?«, fragte eine chinesische Kellnerin. »Tisch für Sie suchen?«
    »Nein danke. Ich wollte nur schauen, ob ein Freund, mit dem ich beim Chinesen verabredet bin, hier ist. Leider habe ich vergessen, in welchem Restaurant wir uns treffen wollten. Aber er ist nicht hier, bestimmt sitzt er im Kota Radja .«
    »Auf Wiedersehen, mein Herr, guten Abend, mein Herr.«
    Ich ging auf demselben Weg zurück und hinaus in den Diefsteeg. Julia in Begleitung von Jouri? Wie war das möglich? Wo und wie hatte er sie kennengelernt? Wusste er, dass Julia und ich gemeinsam Übungen besucht hatten? Hatte er erfahren, dass wir einander auf der Uiterste Gracht am Ende doch nicht geküsst hatten, weil die Haffner-Symphonie dazwischengekommen war? Oder wusste er nichts von all dem? Hatte die Tatsache, dass er mit Julia chinesisch essen ging, nichts mit meinem Werben um sie zu tun? Mir schien es, jetzt, da er mit ihr dort saß, undenkbar, dass er nichts von meiner Verehrung für Julia wusste, dem Geschnörkel zum Trotz, und dass sie mich, nachdem sie fast alle meine Mitstudenten gewogen und für zu leicht befunden hatte, auch einmal einer näheren Untersuchung unterziehen wollte. Oder irrte ich mich in diesem Punkt? Fand sie mich ebenso attraktiv wie ich sie? War es vielleicht echte Liebe? Warum nicht?
    Jouri und Julia beim Chinesen. Nein, die Welt war nicht untergegangen, sie rotierte noch stets in vierundzwanzig Stunden um ihre eigene Achse und raste auf ihrer Bahn um die Sonne durchs All, und auch ich lebte noch und stieg zur etwas höher als der Diefsteeg gelegenen Breestraat hinauf und sah dort die festlich gekleideten Konzertbesucher bereits auf der Straße flanieren. Ich mischte mich unter sie und ging dann mit ihnen in Richtung des Konzertsaals. Im Foyer wurde ich jedoch von einem Logenschließer angesprochen.
    »Dürfte ich bitte Ihre Eintrittskarte sehen, mein Herr?«
    »Die habe ich leider verloren.«
    »Ich bedaure, aber dann bin ich leider verpflichtet, Ihnen den Zutritt zum Saal zu verwehren. Sie versuchen nicht zum ersten Mal, sich kostenlos Einlass zum zweiten Teil des Konzerts zu verschaffen. Sie stehen inzwischen auf unserer schwarzen Liste und werden genau beobachtet.«
    »Ich bin ein armer Student«, warf ich ein.
    »Mein Herr, Studenten haben jede Menge Freizeit. Suchen Sie sich eine Arbeit, dann haben Sie Geld und können sich ordnungsgemäß eine Konzertkarte kaufen.«
    Ich machte kehrt und ging mit gesenktem Kopf in Richtung Ausgang. Bevor ich draußen war, tippte mir jemand auf die Schulter. Ich schaute mich um und starrte in das Gesicht des Logenschließers.
    »Aber, mein Herr«, sagte er. »So schlimm ist es doch auch nicht. Sie müssen sich das doch nicht so zu Herzen nehmen. Sie gehen fort, als führte man Sie zum Schafott. So war das nun auch wieder nicht gemeint. Dieses Mal will ich noch beide Augen zudrücken. Gehen Sie also ruhig hinein.«
    Ich sah ihn an, drehte mich um und ging in Richtung des Saals.
    »Was ist, mein Herr? Fühlen Sie sich nicht gut?«
    »Doch, doch«, stotterte ich.
    »Soll ich Ihnen ein Glas Wasser holen?«
    »Nein, vielen Dank.«
    »Mein Herr, Sie wirken, als seien Sie fix und fertig. Wie ich schon sagte, Sie dürfen hinein, einmal drücke ich noch beide Augen zu, sehen Sie nur.« Er kniff die Augen zu.
    »Es geht schon wieder«, sagte ich, »wenn ich erst einmal sitze ...
    Ehe ich den Saal betrat, schaute ich noch kurz über die Schulter. Mit großen, besorgten Augen sah der Logenschließer mir nach. Als ich schließlich einen Platz gefunden hatte, kam er noch mal in den Saal und

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