Schneeflockenbaum (epub)
blieb offen, ich lag auf dem Bett, und die verdutzten Laubfrösche veranstalteten einen zweiten Durchgang, bei dem etliche auf dem Flur landeten. Ein paar Gelbbauchunken sonderten vor Schreck so viel Gift ab, dass sich auf ihrer Haut Schaum bildete.
Ein paar Tage später erzählte Julia mir, sie habe von zwei Schlangen geträumt. Bei der einen handelte es sich um einen liebreizenden, seltenen Bücherwurm. Dennoch wurde er von der anderen Schlange mitleidlos verschlungen. »Ach, der arme Wicht«, sagte sie.
»Mach dir keine Sorgen«, versuchte ich sie zu beruhigen, »Träume haben keine Bedeutung. Durchs Träumen leeren wir die Mülleimer in unserem Hirn.«
»Es war schrecklich. So ein nettes kleines Bücherwürmchen. Es tat mir so leid.«
Selbst nach einigen Tagen war sie noch immer ganz durcheinander, und auch später hat sie diesen Traum noch oft erwähnt.
Im dritten Studienjahr mussten wir uns zwischen der systematischen und der experimentellen Biologie entscheiden. Rudi wählte die systematische Richtung, Julia und ich die experimentelle. In diesem Jahr standen vor allem Übungen, bei denen man in Zweiergruppen arbeitete, auf dem Programm. Die Übungen der Systematiker fanden im Herbarium und im Museum statt, während die experimentellen Übungen im zoologischen Laboratorium abgehalten wurden. Bei der Übung zur Genetik arbeitete ich mit Julia zusammen. Das gefiel uns beiden gut. Vor ihrem Biologiestudium hatte sie eine Ausbildung zur Chemielaborantin gemacht. Die kam ihr hier zugute. Sie war überaus sorgfältig, konnte hervorragend titrieren (man muss wissen: Nichts auf dieser Welt, mit Ausnahme von Klavierspielen, ist schwieriger als titrieren!), Schnitte machen und kleinste Chemikalienmengen abwiegen. Mir fallen solche Arbeiten immer schwer, zum einen, weil ich zu hastig arbeite, zum anderen, weil ich dieses Gefummel hasse. Aber sämtliche Theorie, die im Rahmen dieser Übungen aus Büchern und Anleitungen herausgesucht werden musste, barg für mich keine Geheimnisse, und ich konnte sie Julia so erklären, dass sie sie verstand. »Ich habe noch nie jemanden getroffen«, sagte sie jedes Mal, »der schwierige Dinge so anschaulich machen kann.« Dann schwoll meine Brust vor Stolz.
Auf die Genetikübung folgte eine Morphologieübung, an der alle Biologiestudenten teilnehmen mussten, und natürlich tat Julia sich dort mit ihrem Verlobten Rudi zusammen. Die beiden stritten sich ständig. Ich arbeitete mit Toon zusammen, doch leider waren wir ein sehr schlechtes Team. Am Ende bekam ich nur ein Ausreichend für die Übung. Ach, hätte ich dieses Seminar doch nur auch mit Julia machen können! Dann hätte sie diese schrecklichen Schnitte für mich gemacht, und ich hätte mindestens eine gute Zwei gekriegt. Für alle Übungen, die ich im Duett mit Julia absolvierte, habe ich lauter Einsen und Zweien bekommen. Und sie ebenfalls.
Wie dem auch sei, nach der Morphologie war die Ethologie an der Reihe. Diese Übung mussten die Systematiker nicht machen. Also arbeitete ich wieder mit Julia zusammen, und aufgrund der Tatsache, dass Julia und ich ein hervorragendes Team waren und wir so vielversprechende Untersuchungen zum Balzverhalten von Buntbarschen anstellten, hinterließen wir beim Übungsleiter einen guten Eindruck. Er fragte uns gleich nach dem Ende der Übung, ob wir nach der Zwischenprüfung wiederkommen wollten, um bei ihm unsere Diplomarbeit zu schreiben. Weil ich damals bereits mit der Parasitologie liebäugelte, fragte ich ihn, ob ich das Verhalten von Buntbarschen untersuchen dürfte, die von Karpfenläusen parasitiert werden. »Aber sicher, was für eine gute Idee«, sagte er.
Julia und ich machten unsere Buntbarschuntersuchungen im großen Aquariumssaal des zoologischen Laboratoriums. Wenn wir mit unseren Experimenten begannen, zogen wir einen Leinenvorhang zu. Dahinter saßen wir dann von neun bis fünf Uhr. In der zweiten Woche balzte eines unserer Versuchstiere, Kareltje, so erstaunlich einfallsreich zu jeder vollen Stunde auf ein und dasselbe Weibchen, dass wir um fünf Uhr hinter dem Vorhang sitzen blieben. Ob er wohl weiter in regelmäßigen Abständen balzen würde? Das tat er, und als er kurz nach sieben wieder pünktlich seinem Weibchen den Hof machte, beendeten wir unsere Beobachtung. Wir gingen durch das menschenleere Laboratorium zum Ausgang. Draußen sangen die Amseln in der hellen Dämmerung des Frühlingsabends so ausgelassen, als deuteten sie auf die Matthäuspassion hin, die am selben
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