Schneeflockenbaum (epub)
weil sie Sightseeing machen wollten. Wir fuhren im Wagen von Fredericas Eltern zurück. Frederica und ich saßen hinten. Ständig trocknete sie mit einem Papiertaschentuch ihre Augen. Ich streichelte ihre linke Hand und flüsterte: »Beruhige dich, er kommt ja wieder.«
»Wer weiß, wen er dort kennenlernt«, schluchzte sie.
»Jouri ist besessen von Zahlen«, erwiderte ich, »aber nicht von Mädchen, ist er im Übrigen auch nie gewesen.«
In Leiden setzten sie mich in der Korevaarstraat ab. Als ich, nachdem ich Frederica keusch auf die Wange geküsst hatte, aus dem Auto stieg, hinein ins goldene Spätsommerlicht, da verspürte ich einen leichten Schwindel, der durch eine seltsame Erregung hervorgerufen wurden.
Jetzt geht’s los, dachte ich, jetzt bin ich endlich frei. Jetzt beginnt das angenehme Jahr des Herrn. Jetzt kann ich ungehindert, ungebremst, ohne Aufpasser den Mädchen nachsteigen. Oh, oh, die Hormone donnern durch meine Adern, ich möchte so gern vögeln. Vögeln will ich, vögeln, vögeln, vögeln.
Noch am selben Abend begann ich, inspiriert von Wim Paardt aus Wie die Alten sangen von Simon Vestdijk, mit meiner Jagd nach Straßenmädchen. Wie meinte Wim Paardt gleich wieder? Bei den ersten fünf Mädchen, die man auf der Straße anspricht, holt man sich einen Korb, aber das sechste geht mit.
Das Epizentrum meiner Jagd bildete der Donkersteeg. Dort trieben sich nach neun, wenn die Ladeneingänge bereits in Dunkelheit gehüllt waren, immer etliche leichte Mädchen herum. Auch auf der Hoogstraat und vor allem auf der langen Haarlemmerstraat traf man überall kichernde, flanierende Flittchen. Auf hohen Absätzen wankend, spazierten sie von Schaufenster zu Schaufenster. Gemäß der damaligen Mode hatten sie oft stark toupierte Frisuren. Außerdem waren Mitte der Sechzigerjahre ultrakurze Kleider oder Röcke sowie Netzstrumpfhosen obligatorisch. Die Haarlemmerstraatmädchen sahen unglaublich ordinär aus, aber von den Frisuren, Röckchen und Netzstrumpfhosen war ich hin und weg. Merkwürdig eigentlich, denn zu diesem Outfit gehörten Schmalztollen und die Musik der Beatles, der Rolling Stones und des Pomademonsters aus Memphis, und sowohl die Schmalztollen als auch die Musik verabscheute ich aus tiefstem Herzen.
Was meine schizophrene Jagd auf ein solches Netzstrumpfmädchen erheblich erschwerte, war der Umstand, dass sie immer zu zweit und oft untergehakt durch den Donkersteeg schlenderten. Um sich an sie ranmachen zu können, musste man selbst auch zu zweit unterwegs sein. Dann konnte man selbst auf der linken und der Freund auf der rechten Seite neben so einem untergehakten Paar hergehen. Man machte einen Scherz, ulkte ein wenig herum, und nach einiger Zeit legte man vorsichtig einen Arm um seine Nachbarin und schaute, ob dieser Arm nicht gleich wieder entrüstet weggestoßen wurde. Wenn nicht, hatte man einen Treffer gelandet, dann ließen die Mädchen einander früher oder später los, und zwei gemischte Paare spazierten weiter.
Das war die Methode. Ich armer, einsamer Mädchenjäger beobachtete dieses Prozedere so oft, dass mir sehr bald klar war: Du brauchst einen Kumpel. Doch wo bekam ich den her? Mein einziger echter Freund war Jouri, und der war gerade in Amerika, um dort die Geheimnisse der Primzahl zu enträtseln. Außerdem war mir im Übrigen klar, dass Jouri sich niemals für die Jagd auf leichte Mädchen hergegeben hätte.
Obwohl ich wusste, dass ich die Sache falsch anging, spazierte ich stur Abend für Abend durch den Donkersteeg und über die Haarlemmerstraat. Das Flanieren und Gucken an sich war pures Vergnügen, vor allem wenn es leicht nieselte und man, um mit dem Dichter J. C. Bloem zu sprechen, in einer Atmosphäre von Nebel und Seligkeit von Schaufenster zu Schaufenster ging. Irgendwann, dessen war ich mir recht sicher, würde es gelingen, irgendwann würde ich auf der Hoogstraat so ein durch und durch nuttiges Mädchen mit einem riesigen Schopf toupierter Haare treffen, ein Mädchen auf hohen Wackelabsätzen, mit kräftig rot bemalten Lippen und langen, spitzen, feuerrot lackierten Fingernägeln, das wundersamerweise mutterseelenallein von der Hoogstraat zur Haarlemmerstraat wankte.
An einem Abend Ende Oktober streifte ich wieder durch die Gassen, die zur Haarlemmerstraat führen. Ich hatte einen anstrengenden Tag im parasitologischen Labor hinter mir. Wir hatten versucht, mithilfe von Röntgenstrahlen durch ein binokulares Mikroskop zu filmen, wie eine Schlupfwespe ein
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