Schneeflockenbaum (epub)
bestimmt irgendwann auftauchen.«
»Seltsam.«
»Sie spielt mit mir zusammen, weil sie, soweit ich weiß, sonst niemanden zum Musizieren hat. Und selbst wenn ich nicht auf ihrem Niveau spiele, ich übe wie verrückt.«
»Aha! Und warum tust du das, wenn nicht, weil du doch ein bisschen verknallt bist in sie?«
»Ich? Verknallt? In so einen Feger, in so eine Hexe, in so eine Xanthippe?«
»Vielleicht gerade deswegen. Es könnte durchaus sein, dass du es liebst, ausgeschimpft und erniedrigt zu werden.«
»Ach, hör doch auf, es bleibt nicht beim Ausschimpfen. Neulich geriet sie wegen eines falschen Akkords derart in Rage, dass sie ihren Halbschuh ausgezogen und mir eine ordentliche Abreibung verpasst hat.«
»Und du hast dich nicht gewehrt?«
»Ich ertrug es gelassen.«
»Du bist ein Masochist, dir gefällt das. Darum hast du dich auch immer nach der Musik von Splunter gedrängt.«
Diese imaginären Dialoge mit Jouri erschöpften mich. Solche Geistergespräche wollte ich nicht führen. Jouri sollte mit dieser Geschichte nichts zu tun haben, er durfte nie erfahren, dass ich mit einer Hexe am Nieuwe Rijn Bach spielte. »Geh schleunigst nach Harvard«, flehte ich in Gedanken.
Leider würde er erst im Herbst abreisen, und wir hatten noch den ganzen Sommer vor uns, den er natürlich zum größten Teil in Vlaardingen verbringen würde, in der Nähe von Frederica, der blühenden Ligusterhecken und der Lichter von Pernis in der Abenddämmerung.
Solange er jedoch noch in Leiden war, musste ich aufpassen, dass er mich nicht doch einmal am Nieuwe Rijn in das Kurzwarengeschäft gehen sah. Besonders weit war die Hogewoerd davon nicht entfernt. Aus diesem Grund machte ich jedes Mal, wenn ich zu Katja ging, einen komplizierten Umweg. Über den Oude Rijn, die Hooglandeskerkgracht und die Nieuwstraat schlich ich zur Ecke des Nieuwe Rijn. Dort schaute ich mich eine Weile sorgfältig nach Jouri um. Erst wenn ich sicher war, dass er nicht in der Nähe war, flitzte ich zum Kurzwarengeschäft und klingelte.
Ich schätzte mich glücklich, dass Katja keine Verbindungen zur Universität hatte, und ich war auch überzeugt, dass der unmusikalische Jouri niemanden von der Musikschule kannte. Er wusste wahrscheinlich nicht einmal, dass es eine derartige Institution gab.
Das Risiko erschien mir nicht sehr groß, doch ich war alles andere als beruhigt. Bei Julia war ich mir auch sicher gewesen, dass er keine Ahnung hatte, und siehe da: Lachend, plaudernd und scherzend und zweifellos auch seinen ganzen Charme einsetzend, hatte er mit ihr bei Woo Ping einen netten Abend verbracht, dessen war ich mir sicher. Und anschließend hatte Julia umgehend mit mir Schluss gemacht. Seitdem hatte ich nichts mehr von ihr gehört. Hockte sie bei ihren Eltern und glänzte in ihrem wunderbaren Kostüm? Oder war sie wieder in Leiden? Ein paarmal fuhr ich, ungeachtet ihrer Lügen, an ihrem Haus an der Haarlemmertrekvaart vorbei. Einmal klingelte ich sogar. Ihre Zimmerwirtin öffnete und sagte, Julia sei schon seit Langem nicht mehr in ihrem Zimmer gewesen.
Nach der Pleite mit Julia kam es nun darauf an, dass Jouri nie etwas von Katja und mir erfuhr. Nicht, weil zwischen Katja und mir irgendetwas war, nein, weit gefehlt, sondern weil jetzt einfach einmal damit Schluss sein musste, dass Jouri sich in alle meine wie auch immer gearteten Beziehungen zum anderen Geschlecht einmischte. Im Fall von Katja war er vermutlich Manns genug, unser wunderbares gemeinsames Musizieren zu stören.
Dann erhielt ich, als sollten meine krampfhaften Bemühungen, meine doch so unschuldige Beziehung zu Katja zu verheimlichen, mit dem Gegenteil von Verheimlichen beantwortet werden, eine Einladung auf handgeschöpftem Büttenpapier zur offiziellen Verlobung von Jouri und Frederica. Lange starrte ich auf das protzige Schreiben und fragte mich: Bin ich dafür verantwortlich, dass er sich mit so einem unglaublich schönen Glamourmädchen verlobt, das überhaupt nicht zu ihm passt? Es ließ sich nicht leugnen, dass ich beim Zustandekommen dieser Beziehung eine Rolle gespielt hatte. Ebenso wenig konnte ich leugnen, dass es mich immer noch ziemlich schmerzte, diese beiden Namen nebeneinander auf dem dicken Büttenpapier zu sehen. Ständig musste ich an die sinnenraubende Umarmung hinten in ihrem Garten denken, die Umarmung, bei der sie mir, wie sie es ausdrückte, den Unterschied zwischen einem Kuss und einem Dauerbrenner beigebracht hatte.
»Warte mit der Verlobung, bis du aus
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