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Schneegeflüster

Titel: Schneegeflüster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind , Rebecca Fischer , Steffi von Wolff , Andrea Vanoni
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nicht sagen konnte, wonach sie exakt roch. Er nahm das angebotene Wasserglas und umklammerte es mit allen zehn Fingern.
    Die Runde bestand aus dem Dompfarrer, dem Chefmessner, der Verantwortlichen für Tickets und Führungen, die rot geränderte Augen hatte, und der Zeugin - die Frau saß ihm rechts schräg gegenüber. Sie war etwa Mitte sechzig und hatte ein weinrotes Dirndlkleid an. Er forderte sie auf zu berichten.
    »Wissen S’, Herr Inspektor, ich hab nach der Messe noch ein bissel gebetet. Mir ist das Ganze nicht gleich aufgefallen, weil ich war so in Gedanken … Wissen S’, wir haben ja mit dem Donauchor die nächsten Tage einige Auftritte. Wir sind von Oberösterreich. Ja, und ich hab mich gefragt …«
    So viel zum innigen Beten - die Frau hatte sich ihrem Lampenfieber hingegeben. »Frau Holzinger, wenn Sie …«

    »Ja, natürlich. Ja, und wie ich mich so gedankenverloren umschau im Dom … der ist ja ganz unglaublich, wissen S’, jedes Mal rennt es mir kalt runter, wenn ich ihn besuch … ja, also da fällt mein Blick auf die Krippen. Da ist ja grad eine Ausstellung …«
    »Von sehr, sehr namhaften Künstlern.« Der Dompfarrer nickte zweimal mit großer Bewegung.
    »Ja, und da seh ich bei der einen Krippe …«
    »Es handelt sich um das Unikat von Bertram Schädel, dem berühmten bayrischen Bildhauer.« Jetzt ließ der Dompfarrer in seinen verschränkten Händen die Daumen kreisen.
    Alle sahen ihn an, Frau Holzinger gab sich einen Ruck. »Ja, also da sehe ich diese Frau. Denk mir noch, ah, die betet …«
    Lisbeth Kramer beugte sich vor. »Wie haben Sie das erkannt? Ist sie gekniet?«
    »Nein …« Holzinger runzelte die Stirn. »Ja, wie hab ich … sie hat so …« Sie bewegte die Hände.
    »Gestikuliert?«
    »Ja, genau. Geredet hat sie halt.«
    »Mit jemand anderem vielleicht?«
    »Nein, mit der Heiligen Familie. Und ich hab mir noch gedacht, schön, dass es noch so gläubige Menschen gibt.«
    »Wie hat die Frau ausgesehen?« Lisbeth Kramers Stimme klang voll und weich. Riedl sah seinen Kopf in ihren Schoß gebettet, während sie eine Geschichte vorlas.
    Die Zeugin nickte Lisbeth zu. »Das war es ja. Wissen S’, die Frau war jung. Vielleicht Anfang dreißig. Da ist man so was nicht mehr so gewöhnt. Deshalb ist’s mir wahrscheinlich auch aufgefallen. Ja, aber angezogen war’s komisch.
Gar nicht fesch beieinander. Mit so einem weiten Mantel, als tät der gar nicht ihr gehören. Aber die Haar, die Haar waren extrem gut geschnitten. So ein flotter Pagenkopf ohne Stirnfransen. Hat nicht zum Gewand gepasst.«
    »Und das haben Sie alles aus der Entfernung gesehen?«
    Lisbeths Frage, so melodiös wie ein Lied, jagte Riedl einen Schauer über den Rücken. Er trank einen Schluck Wasser. Glücklicherweise hatte sie die Befragung übernommen, seine Performance hätte der Polizei nicht zur Ehre gereicht.
    Frau Holzinger zupfte an den Rüschen ihres Dirndls. »Ja, habe ich. Ich sehe noch gut.«
    Der Dompfarrer legte ihr die Hand auf den Arm. »Niemand bezweifelt das, liebe Frau Holzinger. Erzählen Sie doch weiter.«
    Sie schenkte ihm ein Lächeln. »Ja, wissen S’, plötzlich nimmt sie das Jesuskind aus der Krippe. Ich denk mir noch: Will die vielleicht die Figur putzen? Nein, hab ich mir gedacht, doch nicht, wenn die Kirche offen hat. Und da hat sich die Frau schon umgedreht gehabt und ist losgerannt, das Kind unter dem Mantel. So ein Führer ist auf sie zu, und sie hat ihn weggestoßen. Aber wie! Mit einer ungeheuren Kraft. Wissen S’, ich hab mir noch gedacht, die tut so, als ob er der Böse wäre, und sie müsste sich oder das Jesuskind beschützen. Wie eine Wölfin. Ja.« Die Zeugin verstummte.
    Die für Tickets und Führungen zuständige Dame räusperte sich. »Wir anderen sind dann hinübergelaufen, aber sie war schnell. Und geschickt, das muss ich schon sagen. Wie in einem Film ist sie über die Stühle drüber, die wir als Absperrung aufgestellt hatten. Wie im Film.« Sie schniefte. »Einer von uns ist ihr nach, aber umsonst. Und dann haben
wir gesehen, dass der Fredi …« Sie wandte den Kopf ab und presste die Lippen aufeinander.
    Riedl stellte das Glas ab. »Könnten Sie die Frau für eine Phantomzeichnung beschreiben?«
     
    Das Kind war so kalt. Diese Leute hatten doch nicht gut aufgepasst. Sie wickelte es fester in die Decke und rubbelte es. »Stehen zwei Stern’ am hohen Himmel …« Leise summte sie das Lied weiter, das Kind musste schlafen und sich erholen. Mit ihm durfte nicht auch noch

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