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Schneegeflüster

Titel: Schneegeflüster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind , Rebecca Fischer , Steffi von Wolff , Andrea Vanoni
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nicht finden. Zeugen hatten sie noch in der U-Bahn-Station gesehen, doch danach war sie ausgerechnet in einer U1 verschwunden,
die noch nicht mit Videoüberwachung ausgestattet war. Schicksal.
    So wie seine Begegnung mit Lisbeth. Sie war eine Frau der Tat, zielgerichtet, keine Schwadroneurin. Wohin sollte er sie ausführen? Würde sie seine Einladung überhaupt annehmen? War sie verheiratet? Er schielte auf ihre Hände. Kein Ring. Er atmete aus.
    »Ja, es ist schrecklich. Mein Kollege und ich werden alles daran setzen, dass diese Frau gefunden wird.«
    Meinte Lisbeth Kramer das ernst? Sie war offensichtlich gut im Marketing. Das mussten sie sagen. Die Politiker aller Couleurs hatten die Tat bereits aufs Schärfste verurteilt, allen voran die Rechten: Der Diebstahl sei ein böswilliger Akt der muslimischen Bevölkerung, um das wichtigste Fest der Christen zu sabotieren. Die Journaille brachte es gerade auf den Titelseiten der Abendausgaben. Allerdings ermöglichte ihm diese Ermittlung, mit Lisbeth Stunde um Stunde zu verbringen.
    Sie schickten die Zeugin nach Hause, gaben das Phantombild an die Zeitungen und Fernsehanstalten weiter. Dann standen sie am Gang, wünschten einander einen guten Abend. »Bis morgen!« Er drehte sich um und gleich wieder zurück. Sie ging davon. Es war, als würde sie aus seinem Leben verschwinden wie eine Fata Morgana, die man zu berühren versuchte.
    »Frau Kramer …«
    Sie drehte sich um, lächelte.
    Tu es, Robert, tu es. Das ist die Chance. »Würden Sie vielleicht mit mir … noch auf einen Drink … oder einen Kaffee, wir kennen uns ja noch nicht wirklich … und außerdem sollten wir doch auch etwas von Weihnachten … alle
gehen auf einen Punsch, und nur wir müssen …« So eine gequirlte Scheiße.
    »An und für sich gern, aber heute …« Sie zuckte mit den Schultern und schenkte ihm wieder ein Lächeln. Dann war sie um die Ecke verschwunden.
    Er schaltete das Diensthandy ab und folgte ihr.
     
    Hannes Federer starrte auf den Spiegel mit dem Schriftzug Bacardi . Er zeigte die Dartsspieler, die hinter seinem Rücken wie Roboter die Pfeile warfen. Einsame Kreaturen wie er selbst. Er hatte sein Zuhause gefunden. Ein abgehalftertes Lokal im zweiten Bezirk, wo man neben Flaschenbier, allen Arten von harten Getränken und Erdnüssen das Gefühl vermittelt bekam, in seiner Verlorenheit doch nicht allein zu sein. Man konnte in aller Ruhe den Ekel vor sich selbst und den anderen wegsaufen.
    Er trank die halbe Flasche Bier in einem Zug aus, goss den Marillenschnaps hinterher und hob die Hand. Die Kellnerin, ein grauer Schwamm mit blonder Mähne, nickte und stellte fast augenblicklich eine neue Flasche sowie einen neuen Schnaps vor ihn hin. Er nahm wieder einen großen Zug. Jetzt, beim vierten Bier und nach dem dritten Schnaps, spürte er langsam die Wirkung des Alkohols. Es war noch zu wenig, um zu vergessen.
    Erika saß jetzt in ihrem Zimmer und wartete auf ihn … mit diesem Ding, das sie weiß Gott woher hatte und das sie streichelte und liebkoste. Es würgte ihn. Er hatte ihr vorgegaukelt, den Wagen aus der Reparatur holen zu müssen. Diese fremde Frau hatte ihm das geglaubt, seine Erika hätte ihm bei der durchsichtigen Ausrede verschmitzt mit dem Finger gedroht.

    Die Kellnerin lehnte sich über den Tresen zu ihm. »Was ist mit dir?«
    Sie kannte ihn nicht, er kannte sie nicht. »Ich hab … eine verrückte Frau. Sie ist oben auf der Baumgartner Höhe. Keine Besserung seit einem halben Jahr. Sie … äh … erkennt mich nicht mehr … das heißt, heute schon, aber … wurscht. Sie glaubt, dass ihre toten Kinder noch … leben. Es wird immer … schlimmer.« Das Reden bereitete ihm Übelkeit. Er kippte den Schnaps.
    Die Kellnerin stellte ihm noch einen hin, zündete sich eine Zigarette an, musterte die kopfüber aufgehängten Spirituosenflaschen, den stumm geschalteten Fernseher am Ende des Tresens, dann ihn. »Und wenn du sie woanders hinbringst? Vielleicht kann ihr wer anderer helfen.«
    »In Wien alles probiert.«
    »Ja, dann woanders. Sind die net in Amerika drüben ganz gut bei so was? Oder auf der Insel?«
    »Geld?« Die Kellnerin nickte wissend und seufzte. Widmete sich einem Stammgast namens Rudi, der ihr erklärte, sie sei seine große Liebe und nun zu Weihnachten müsse sie ihn endlich erhören. Die Therapiestunde war vorbei. Und wie alle Therapien sinnlos gewesen. Hannes schlug mit der flachen Hand auf den Tresen. Die Kellnerin musterte ihn, er hob entschuldigend die andere

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