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Schneegeflüster

Titel: Schneegeflüster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind , Rebecca Fischer , Steffi von Wolff , Andrea Vanoni
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Mutter beim Abschied klang mir immer noch in den Ohren.
    »Katha? Ja, hallo, ich bin’s, Åsa. Ich kann dich leider nicht erreichen, aber ich bin jetzt auf dem Weg in die Stadt. Wollen wir uns bei McDonald’s am Schwedenplatz treffen und dann irgendwo Cocktails trinken? Melde dich!«
    Verdammt! Ich hatte mein gesamtes Adressbuch durch, und alle Freunde zogen es vor, Heiligabend mit Mami und Papi unterm Baum zu sitzen. Sogar die coolen WG-Bewohner aus dem zweiten Stock saßen irgendwo in einem provinziellen Wohnzimmer vor einer riesigen Schüssel Kekse. Rapper Edlo, der eigentlich Eduard Lohmeyer hieß und das ganze Jahr mit allen Verwandten im Clinch lag, hatte ich gerade erwischt, wie er in andächtiger Stimmung den Sängerknaben lauschte.
    »O Mann, sorry mucho, Åsa, aber nicht zu Weihnachten, du weißt ja, da ist immer großer Rambazamba bei meinen ehemaligen Erziehungsberechtigten. Streng nach Muttchens Zeremoniell. Aber Silvester vielleicht! Frohes Ehschonwissen, grüß McCountry von mir!«
    Grandios. Da hatte ich in meinem ganzen Leben einen einzigen Streichtag zur Verfügung, und ausgerechnet den
würde ich anscheinend unspektakulär mit Chips und Chardonnay vor dem Fernseher verbringen. Wütend warf ich das Handy auf den Beifahrersitz und hupte einen roten VW an, der mit 70 Stundenkilometern die linke Spur blockierte, als es gewaltig rumpelte. Ich klammerte mich an mein Lenkrad, schaffte es, die Kontrolle über den Wagen zurückzugewinnen, blinkte rechts und konnte mich auf den Pannenstreifen retten. Dort atmete ich mehrmals tief durch, ehe ich die Fahrertür einen Spalt öffnete und einen Blick nach links hinten warf. Auch das noch! Der Reifen war platt, mitten auf der Südautobahn, wenige Kilometer vor der Wiener Stadtgrenze und in Sichtweite von Ikea am vierundzwanzigsten Dezember um sechzehn Uhr fünfundvierzig.
    »Sagn’S mir noch Ihre Kartennummer?«, bat die genervte Telefonistin des Automobilclubs. Ich las die Ziffern laut und deutlich vor und räusperte mich dann.
    »Wie … also wie lange wird das denn ungefähr dauern?«
    »Schaun’S, Sie können sich vorstellen, dass wir zu Weihnachten nur sehr wenige Wagen im Einsatz … Moment, neuer Anruf, warten’S halt, bis wir uns wieder melden. Aber so anderthalb, zwei Stunden Geduld werden’S schon brauchen.«
    Was für eine Bescherung!
     
    Ich streifte mir den linken Schuh vom Fuß und rieb die Stelle am Rist, wo eine deutliche Delle zu erkennen war. Wie lange hatte ich keine hochhackigen Schuhe mehr getragen? Wie lange war es her, dass ich mir die Mühe des Wimpernklebens, Beinerasierens, Augenbrauenzupfens und Gesichtbemalens angetan hatte? Doch seit auf dem absoluten
Tiefpunkt des Tages ein riesiger silberner Mercedes hinter mir am Pannenstreifen gehalten hatte, war rein gar nichts mehr wie immer. Schuld daran war Moritz. Also eigentlich Wilma.
    Die langen Männerbeine, die ich in meinem Seitenspiegel sah, hatten die Distanz von vielleicht zehn, fünfzehn Metern mit wenigen schwungvollen Schritten hinter sich gebracht. Mit dem eleganten Hüftknick großer Menschen, die es gewohnt waren, von kleineren Leuten umgeben zu sein, beugte er sich hinunter, während ich die Scheibe einen Spalt öffnete. Ein hellgrünes Augenpaar unter einer nachdenklich gerunzelten Stirn musterte mich gründlich, ehe sich die dazugehörigen herrlich vollen Lippen öffneten und die seltsamsten Worte sagten, die ich je gehört hatte:
    »Sie schickt der Himmel! Seit neun Stunden suche ich ein passables Christkind. Tragen Sie Größe achtunddreißig?«
    Sein Name war Moritz Schellberg, und er war der Vorstand einer Organisation, die Waisenkindern Herzenswünsche erfüllte. Jedes Jahr zu Weihnachten gab es ein großes Fest im Wiener Hotel Imperial, zu dem Waisenhauskinder aus ganz Österreich kamen. Und heuer sollte zum ersten Mal das Christkind auftreten, weil ein kleines Mädchen namens Wilma Schwaighofer als größten Wunsch angegeben hatte, das Christkind persönlich kennenlernen zu wollen. All das erzählte mir Moritz auf der rasanten Fahrt in die Wiener Innenstadt.
    »Moment«, unterbrach ich seinen Redefluss, »das Kind hätte sich alles wünschen können und wollte ausgerechnet das Christkind treffen?«
    Moritz schenkte mir ein entzückendes schiefes Lächeln und nickte. Was für ein Dickenssches Wintermärchen. Offensichtlich
gab es nur ein winzig kleines Problem: Das Christkind hatte wegen eines lukrativeren Modeljobs in der Früh abgesagt, und seitdem hatte Moritz

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