Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schneegeflüster

Titel: Schneegeflüster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind , Rebecca Fischer , Steffi von Wolff , Andrea Vanoni
Vom Netzwerk:
nach Ersatz gesucht. Und ihn ausgerechnet mitten auf der grauesten Stadtautobahn gefunden. Klar, alle anderen potenziellen Christkinder saßen ja daheim bei Mama vorm Gabentisch.
    »Wir wollten nicht einfach jemandem eine Perücke aufsetzen«, erklärte er, »Wilma hat nämlich eine klare Vorstellung davon, wie das Christkind aussieht.«
    »Und es sieht aus wie ich?«, fragte ich ungläubig.
    »Nicht nur.« Er grinste. »Sie sind es!«
    Na toll. Das Christkind hasste Weihnachten.
    Moritz Schellberg hatte mich direkt zum Hotel Imperial chauffiert, wo mich in einer prachtvollen Suite bereits meine Christkindausstattung erwartete. Die Hotelkosmetikerin »Nennen-Sie-mich-Monique« kümmerte sich um die Entfernung überflüssiger Bein- und Gesichtsbehaarung. Eine Stunde später hatte man mich mit Hilfe eines gigantischen Schminkkoffers sowie eines hypermodernen Lockenstabes vom Aschenputtel in die Märchenprinzessin verwandelt. Ich wurde in ein weißes Ballkleid gesteckt, bekam goldene Flügelchen und einen goldenen Heiligenschein anmontiert und musste schätzungsweise siebenhundert Paar Pumps anprobieren. Während Moritz im Hotelflur immer nervöser auf und ab lief, schlüpfte ich bereits seit zwanzig Minuten in ein Paar nach dem anderen, doch keines passte.
    Bei Schuhen war ich immer schon ein schwieriger Fall gewesen, meine Füße verlangten eine kaum aufzutreibende Zwischennummer mit extrem hohem Rist und einer breiten Ferse. Meine schönen Abendschuhe waren allesamt eigens angefertigt, nur Turnschuhe und Flip-Flops konnte ich in
Läden problemlos erwerben. Doch ein Christkind in Turnschuhen entsprach wohl nicht der gängigen Vorstellung.
    »Diese hier vielleicht?«
    Während ich noch meinen Fuß massierte, war Moritz ins Zimmer gekommen und hatte aus dem Haufen zielsicher ein hübsches Modell in Mattgold gefischt, das er nun, auf seinen unendlich langen Beinen kniend, hochhielt. Mit vor Erstaunen offenem Mund sah ich ihn an. Für seine vierzig Jahre hatte er unglaublich jungenhafte Gesichtszüge. Sein dunkles Haar war naturgewellt und seitlich locker gescheitelt. Eine gewisse Ähnlichkeit mit Matthew Broderick war nicht zu verleugnen, und mein widerspenstiges schwedisches Tiefkühlherz schaltete die Schnelltaustufe ein.
    »Er passt!«
    Vorsichtig trat ich mit dem Goldpumps auf. Er drückte nicht, er war weder zu groß noch zu klein, es war, als wäre er für mich gerade eben geschustert worden.
    »Wie angegossen.«
    »Na also!« Moritz’ Augen blitzten, als er eine kleine Verbeugung andeutete und mir galant den Arm reichte. »Darf ich das Christkind zum großen Auftritt bitten?«
    Als ich an Moritz’ Arm engelsgleich die große Festtreppe hinunterstieg, fiel mir auf, dass die Aufmerksamkeit der Damenwelt auf mich gerichtet war. Sie steckten die Köpfe zusammen und musterten mich eindringlich. Eine neue Stute im Stall, noch dazu eine, die im Moment konkurrenzlos überirdisch kostümiert war. Kaum zu übersehen war, was für begehrliche Blicke manch weibliches Wesen Moritz zuwarf, der jedoch nur Augen für mich hatte.
    Der Festsaal war weihnachtlich dekoriert. Die Kronleuchter strahlten, die Fresken an den Wänden versetzten einen
in eine andere Zeit, und am anderen Ende des Saals war ein mehrere Meter hoher Christbaum prächtig geschmückt. Dorthin führte mich Moritz unter den »Ahs« und »Ohs« der Gäste. Leuchtende Kinderaugen blickten zu mir auf, als wäre ich ein überirdisches Wesen. Sie konnten ja nicht wissen, dass echte Feen ganz anders aussahen und statt eines Heiligenscheins eine Alkoholfahne hatten.
    Neben dem Baum war ein kleiner Thron vorbereitet, daneben ein riesiger goldener Korb voller bunter Pakete. Mein Herz schlug bei diesem Anblick höher. Ich empfand plötzlich eine Sehnsucht, die ich nicht erklären konnte. Moritz, der das wohl für aufkeimende Nervosität hielt, drückte beruhigend meine Hand.
    »Wie gesagt, du brauchst einfach nur dort zu sitzen, die Kinder kommen zu dir, und du gibst jedem Kind ein Päckchen, ganz einfach.«
    Ich nickte, und wir sahen uns an, eindeutig zu lange. Er strich mir eine Christkindlocke aus der Stirn. Auf einmal fühlte ich mich wie ein Hering im Tannennadelsirup. Die Luft, die ich einatmete, war zäh und dickflüssig. Der Stuhl, auf dem ich Platz nahm, hätte auch ein fliegender Teppich sein können; mit meiner Bodenhaftung stand es nicht mehr zum Besten.
    Lächelnd ließ ich mich von kleinen Mädchen und Jungs umarmen, drückte winzige Händchen, strich über

Weitere Kostenlose Bücher