Schneegeflüster
Schwedin«, wenn sie mich von Weitem sahen. Erst auf der Uni, beim Germanistikstudium, lernte ich, dass hochgewachsene, blonde, vollbusige Frauen sich bei Männern großer Beliebtheit erfreuten.
Leider wurden sie auch ebenso gerne für dumm und naiv gehalten, zwei Eigenschaften, die mir, Åsa Glück, so fremd waren wie Blodpudding, die schrecklichste Erfindung der schwedischen Küche.
Immer noch leicht benebelt von den Ereignissen des vergangenen Abends, setzte ich mich im Bett auf und versuchte, mich mit ein paar Lotus-Variationen in einen gelasseneren Bewusstseinszustand zu bringen. Yoga war die neueste Entdeckung meiner Freundin Katha, und da Katha mich mit grenzenlosem Enthusiasmus für alles und jedes zu entflammen versuchte, machte ich die jeweils neueste Leidenschaft gehorsam mit, bis der nächste Trend kam, der uns körperliche und geistige Gesundheit verschaffen sollte. Shiatsu, Klangschalenmassage und Reiki hatten wir bereits hinter uns, doch nichts davon hatte mir die Panik genommen, die mich alljährlich um den zweiten Advent herum befiel.
Seit Inga und ich nicht mehr daheim lebten, sondern uns in die offenen Arme der Großstadt Wien geworfen und uns beide vollkommen ikearesistente Refugien geschaffen hatten, frei von Billy, Gorm und Ivar, war vieles besser. Doch während Inga, Studienabbrecherin, Hausfrau und Mutter zweier entzückender blonder Kinder, die nach Oma und Opa Hildesson zu geraten drohten, das bereits als Abgrenzung genügte, war meine Ablehnung viel umfassender. So kam es jedes Jahr am vierundzwanzigsten Dezember zu mehr oder weniger ähnlichen Szenen. Die dünnen, dunkelhaarigen und vernunftbegabten Mitglieder der Familie aßen Mutters Heringe, sahen Donald Duck im Fernsehen und strahlten mit der Festbeleuchtung um die Wette, während die blonden Schwedinnen, also meine zwei Nichten und ich, um die Wette plärrten, Erstere aus Vorfreude auf die Geschenke, Letztere aus Prinzip.
Doch heuer war alles anders, sagte ich mir, während ich meinen Kreislauf mit Wechselduschen in Gang brachte. Heuer konnte ich Weihnachten getrost über mich hereinbrechen lassen, denn heuer würde ich Weihnachten nach meinen eigenen Wünschen gestalten. Denn - das Stichwort Wünsche passte ausgezeichnet - heuer war der Heiligabend mein Streichtag!
Noch kurz vor Mitternacht hatte ich nämlich gegoogelt. Schließlich musste es, wenn das Wunschwellenprinzip tatsächlich existierte, andere Betroffene geben, denen Ähnliches zugestoßen war. Und tatsächlich entdeckte ich ein Internetforum, das sich mit Feenbestellungen befasste und Hilfe für Menschen anbot, bei denen die Wünsche nicht ganz nach Plan liefen. Da gab es zunächst eine gewaltige Fraktion von Rachewünschern, die andere Menschen ohne Skrupel in Tiere oder Gegenstände verwandeln lassen oder sie an weit entfernte Plätze verwünscht hatten. Meist waren sie voll Reue und hatten jede Menge Probleme, diese bösen Hexereien rückgängig zu machen. Dann fand sich eine enorme Gruppe der materiellen Wünscher, die sich mit Hilfe der Feen ihr Leben verbessert hatten, sei es durch Reichtümer aller Art, kosmetische Verschönerung oder den Traumpartner an ihrer Seite. Von ihnen las man nur begeisterte Berichte, die sie wahrscheinlich auf ihren diamantbesetzten Notebooks von Südseestränden aus verfassten.
Nun, und dann gab es noch eine dritte Gruppe. Menschen wie mich, deren Wunschvorstellungen komplizierter waren. Allen gemeinsam war jedoch die Aussage, dass es funktionierte und dass es tatsächlich unmöglich war, einmal erfüllte Wünsche wieder rückgängig zu machen. Aber das war das Letzte, was ich vorhatte. Denn seltsamerweise schrieb
niemand von mehrfachen Feenbesuchen, und mein Motto, im privaten wie im beruflichen Bereich, war immer schon gewesen: Nutze deine Chance, es ist womöglich deine einzige!
Nachdem ich ein ausgiebiges, süßes und völlig fischfreies Frühstück mit der ungestörten Lektüre meiner bevorzugten Tageszeitung verbracht hatte, machte ich mich kurz nach Mittag mit dem Auto auf den Weg zu meinen Eltern. Der Plan war, die Geschenke für die Kinder abzugeben und noch vor den obligatorischen Disney-Cartoons und lange, lange vor den Heringen wieder aufzubrechen. Denn heuer wollte ich das tun, was ich schon immer zu Weihnachten hatte tun wollen: mich mit Freunden treffen, durch die Stadt ziehen, Burger bei McDonald’s essen und so tun, als gäbe es nichts zu feiern. Weihnachten kurzerhand ausfallen lassen. Heuer konnte ich es mir
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