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Schneegeflüster

Titel: Schneegeflüster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind , Rebecca Fischer , Steffi von Wolff , Andrea Vanoni
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Lockenköpfe, bekam Geheimnisse erzählt und überreichte ein buntes Päckchen nach dem anderen. Als nur noch ein einziges Paket im Korb lag, führte Moritz selbst das letzte Kind an der Hand zu mir. Das Mädchen war vielleicht vier, fünf Jahre alt, hatte zwei blonde Zöpfe und große blaue Augen, aus denen es mich aufmerksam betrachtete.

    »Und, Wilma«, hörte ich Moritz’ Stimme, »ist das Christkind so, wie du es dir vorgestellt hast?«
    Wilma kicherte, beugte sich zu Moritz, der neben ihr in die Hocke gegangen war und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Er nickte ernst, sah mich an und wiederholte leise die Worte des Kindes:
    »Viel schöner.«
    Für gewöhnlich war ich nicht nahe am Wasser gebaut, aber auf einmal schwirrte mir der Kopf, und Feuchtigkeit sammelte sich in meinen Augenwinkeln. Schnell griff ich in den Korb, kramte extra lang nach dem Päckchen und reichte es Wilma, die es mir andächtig aus den Händen nahm. Ein wenig erinnerte sie mich an ein anderes kleines Mädchen, das noch auf den Klang von Silberglöckchen wartete. Mit ihren winzigen Kinderarmen umarmte sie mich kurz, sah mich für einige Sekunden furchtbar ernst an und sagte dann, ehe sie wieder zu ihrer wartenden Kinderdorftante lief:
    »Schön, dass es dich gibt, Christkind. Vergiss mich bloß nicht bis nächstes Jahr!«
    Der Schock war so heftig, dass ich sekundenlang das Atmen vergaß. Meine Hände zitterten, und meine Stimme war nur ein Flüstern, als ich Moritz wie eine Ertrinkende ansah und fragte: »Wie spät ist es?«
    Moritz sah auf die Uhr und antwortete: »Neun vorbei. Die Kinder sollten längst auf dem Heimweg sein. Eigentlich wollte ich … Was hast du? Was ist mit dir? Åsa?«
    »Luft«, hauchte ich, »ich brauche Luft, ich muss kurz - etwas erledigen, ich … komme wieder!«
    Mit diesen Worten schlüpfte ich aus den Pumps, um schneller laufen zu können, und durchquerte den Festsaal
so christkindhaft wie möglich. Erst draußen in der Halle begann ich, unter den pikierten Blicken der Damen, zu rennen. Zwei Stufen auf einmal nehmend, sprang ich die Festtreppe hinauf, stieg in den Lift und drückte den obersten Knopf.
    Zum Glück war meine Suite leer. Ich kramte in meiner Handtasche nach dem Objekt, das ich gesucht hatte, fischte das mit dem Logo des Hotels Imperial bedruckte Streichholzheft aus einem edlen silbernen Schüsselchen, öffnete die Balkontür und trat hinaus in die frische, eisige Dezemberluft. Die Aussicht hier oben war phantastisch. Direkt vor mir lag die beleuchtete hellgrüne Kuppel der Karlskirche, unter mir das Dach des Musikvereins, durch das sogar leise Musik zu hören war, irgendeine Symphonie. Doch für die Sehenswürdigkeiten der nächtlichen Wiener Skyline hatte ich momentan keinen Blick übrig, denn wenn mir nicht schnellstens etwas einfiel, würde in drei Stunden mein bescheuerter Weihnachtswunsch in Kraft treten und alles, die kleine Wilma, Moritz, das Gefühl in meinem Bauch, würde vergessen sein. Ich, dachte ich traurig, würde vergessen sein.
    Zum Glück war es windstill. Mit zitternden Händen setzte ich den Papierengel mit dem Verlagslogo, den wahrscheinlich letzten seiner Art, auf das Balkongeländer, riss ein Streichholz vom Heftchen ab und zündete es an, während ich ununterbrochen »Ich wünsche, ich wünsche, ich wünsche« murmelte. Unter meinem flehentlichen Blick ging der Papierengel in Flammen auf. Ich schloss die Augen, ballte die Hände zu Fäusten und versuchte, mir mit aller Kraft die Fee herbeizuwünschen. Das Wunschwellenprinzip musste einfach eine Ausnahme machen. In mein verhasstes Leben war heute endlich eine Perspektive getreten. Eine
Perspektive und ein Paar wunderschöne grüne Augen. Wie konnte ich zulassen, dass morgen früh keine Spur davon zurückblieb?
    Als nichts geschah, blinzelte ich und starrte betrübt auf das Häufchen Asche, das einmal ein Papierengel gewesen war. Ich pustete es Richtung Karlskirche und vergrub das Gesicht in den Händen.
    Ach, verdammt! Mein Leben war zwar vor vierundzwanzig Stunden nicht schön oder erfüllt gewesen, doch wenigstens unkompliziert. Ich hatte Turnschuhe statt Goldpumps getragen, und meine größte Sorge war, ob Tobias Andreka seinen Abgabetermin einhielt. Nun stand ich mitten im Winter barfuß auf dem Balkon des Hotel Imperial, zupfte an dem lädierten Heiligenschein in meinen Haaren und starrte in den sternenklaren Nachthimmel.
    Da passierte es. Als hätte jemand in Hollywood das Drehbuch geschrieben, bewegte sich dort oben

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