Schneegeflüster
über die unglückselige Geschichte mit der Betty. Ein Haus haben sie zusammen bauen wollen, Kinder wollten sie auch. Der Betty gehört ein kleiner Gasthof in Sölden, und er, Max, hat sich vor ein paar Jahren selbstständig gemacht. Finanziell war auch alles klar. Aber dann, gestern, hat sie vor ihm gestanden und gemeint, dass alles aus sei. Einfach so. Und ist dann weggefahren, weil sie eine Auszeit brauchte. Vielleicht hat das Arschloch ja eine Zwillingsschwester, von der ich bislang noch nichts wusste. Natürlich hatte er, Max, sie gefragt, wieso, weshalb, warum und natürlich, ob es einen anderen gebe, aber sie hatte sich erst mal gewunden und gemeint, das ginge ihn nichts an.
»Und dös nach so langer Zeit«, sagt er traurig und kippt
noch einen Schnaps. Mittlerweile ist die Flasche mit dem Wipferlgeist leer, und wir sind auf Gamsdabrunzta, also etwas aus Enzianwurzeln, übergegangen. Mir ist ganz egal, was ich trinke, Hauptsache, das schöne Gefühl geht nicht weg. Dieses warme.
Und dann, ganz plötzlich, fängt Max an zu weinen. Er legt die Arme verschränkt auf den Tisch und lässt den Kopf daraufsinken. Und dann schluchzt dieser Bär von Mann lauthals vor sich hin, stößt zwischendurch böse Schimpfwörter aus, will sich ins Pendel hauen oder die Betty omurxen. Ich hocke da und suche nach Worten, um ihn zu trösten, während draußen die Welt untergeht und man das Gefühl haben könnte, wir seien ganz allein auf der Erde. Allein mit uns.
Keine Ahnung, wie spät es ist, aber der Tatort dürfte mittlerweile auch vorbei sein.
Und dann sagt Max: »Wenn i diesen Ingo zu fass’n krieg, den tua i dögeln, aber wia i den dann dögeln tua.«
Mir wird kalt, nur ein kleines bisschen.
»Ingo?«, frage ich dann.
Max nickt, nimmt eine Serviette und schnäuzt sich hinein.
»Die Betty hat’s mir dann doch g’beichtet. So ein Depperter aus Deutschland. War hier wohl auf Urlaub, und da ham sie sich g’troffn. Ein Architekt.«
Nun bekomme ich keine Luft mehr, denn das Arschloch ist … richtig, Architekt. Moment. Es gibt nicht nur einen Ingo und nicht nur einen Architekten in Deutschland, es gibt viele davon, und einige von ihnen werden wohl auch in Österreich Urlaub machen. Nicht durchdrehen jetzt.
»Im Ort unten ham sie sich wohl kenneng’lernt«, geht es
weiter. »Beim Weckerlkaufen. Da hams wohl beide festgestellt, dass sie so eine Allergie gegen’s weiße Mehl haben.«
Mir ist jetzt eiskalt, und ich muss glaube ich nicht sagen, warum.
»Dieser Hundianer!«, ruft Max. »Mir einfach meine Frau oknöpfln.«
Das Arschloch und seine Weißmehlallergie, die er vor ein paar Jahren bekommen hat. Ich Idiotenkuh habe sogar selbst Brot gebacken, ohne Weißmehl natürlich, und Brötchen, bloß damit das Arschloch keinen Allergieschock bekommt.
Ich denke weiter nach. Als wir die letzten Male hier waren, da ist er öfter als sonst fortgewesen, um »den Kopf freizukriegen vom Alltagsstress«. Stunden war er weg. Ich hab mir nichts dabei gedacht, hab gemütlich mit meiner Familie oder Freunden zusammengesessen und Karten gespielt oder Malefiz. Oder wir haben uns einfach so unterhalten.
Trotzdem ist das immer noch kein Indiz dafür, dass es sich bei diesem Ingo tatsächlich um meinen handelt.
»Wo in Deutschland wohnt er denn?«, frage ich interessiert.
»In Frankfurt«, erklärt mir Max, der nun aussieht wie ein depressiver Braunbär. »Er hat wohl auch seiner Frau den Weida geben, Sakrament.«
Er steht auf und läuft zum Fenster, gegen das der Schnee fast waagerecht wirbelt.
Ich kombiniere: Ingo, Architekt, Weißmehlallergie, Frankfurt.
»Ölf Jahre war er mit erer z’samm. Sie macht was mit Kosmetik wohl, und die Eltern von erer ham hier oben auch a Hütt’n irgendwo.«
Nein, ich kollabiere nicht. Das fehlt noch. Lieber noch einen Schnaps. Ich brauche das jetzt einfach.
»Scheiße«, sage ich. »Scheiße.« Ich stehe ebenfalls auf, es dreht sich alles ein bisschen. Egal. Am Fenster angekommen lege ich Max die Hand auf die Schulter.
»Wenigsten bin i net ganz alloa«, sagt er. »Vorhin im Radio, da hams mit erer Frau g’sprochn, die hat wohl denselben Zorres mit ihrem Mann. Sie hat ihn bloß dauernd des Arschloch g’nannt.«
»Max«, ich räuspere mich. »Max, jetzt hören Sie mir mal zu.«
Gegen drei Uhr morgens stehe ich am Fenster und schaue raus. Es schneit und schneit, man kann seine Hand kaum vor Augen sehen.
Ich habe mit Max geschlafen. Was heißt mit ihm geschlafen, ich hatte den besten
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