Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schneegeflüster

Titel: Schneegeflüster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind , Rebecca Fischer , Steffi von Wolff , Andrea Vanoni
Vom Netzwerk:
nur noch mehr steigerte. Dann warf er die Kleider von sich und rappelte sich auf. Bezwungen unter dem Sternenhimmel … »Was für ein romantischer Idiot«, flüsterte er. Wie sie den Franzosen eben eingewickelt hatte; welche Füchsin steckte in diesem herrlichen weißen Leib! Eine neue Welle der Eifersucht rollte durch seine Adern. Heinrich wusste, er war selbst schuld. Hätte er nur in Berlin sofort erkannt, was für ein Diamant Irina war. Dann hätte er für seinen Vorgesetzten irgendeine Ausflucht erfunden, warum sie keinesfalls als Spionin des Reiches taugte. Er hätte ihre Begeisterung fürs Abenteuer nicht schamlos ausgenutzt, um sie zu führen. Hätte keine aufregenden Jagden im Fürstentross geritten oder in Spiritistenhäusern nächtliche Treffen mit falschen Geistern arrangiert.
    Heinrich spähte um den Holzrahmen des Paravents herum. Sein Fluchtplan war vereitelt. Hastig reinigte er mit Irinas
Bürsten seinen Anzug, richtete sich das Hemd und wischte sich das Gesicht ab. Noch gab es Hoffnung, noch war die Weihnachtsrevue nicht zu Ende. Nach der Pause würde Irina im großen Finale auftreten müssen. Wenigstens einmal waren diese Arschgeigen von Ministern zu etwas nütze. Heinrich biss die Zähne zusammen. Er brauchte einen neuen Plan.
     
    Jérôme fühlte nichts mehr. Ein anderer zählte mit seinen Augen die Polizisten. Ein anderer hörte mit seinen Ohren die perlenden Koloraturen Irinas, die auf der Bühne als goldener Engel zwischen der grün gewandeten Myrrhe- und den Schleiern der Weihrauchtänzerin emporragte. Die orientalischen Mosaiken der Kulisse mochten jeden Mann im vollen Haus in ihren Bann schlagen, ihn nicht. Jérôme quälte ein so großer Schmerz, dass er ganz dumpf davon wurde. Gefühllos und tot wie ein verwitternder Stein.
    Sein Verstand hingegen rätselte, wie es Irina möglich war, über die Bühne zu schweben, ohne dass man auch nur einen Tanzschritt erahnte. Was bewirkte diese scheinbare Auflösung der Schwerkraft? Welche Macht steckte in ihr? Sein Herz schrie stumm in diese Fragen hinein, dass es nicht einmal mehr ihren Namen ertragen könne.
    Die Harfen zupften schneller, die Trommeln klopften heftiger. Myrrhe und Weihrauch bogen sich hinter dem Goldengel. Da löste Irina eine langstielige Kunstrose von ihrem Kostüm und warf sie zu einer Loge hinauf.
    In solche dicken Stengel wurden Geheimpapiere gerollt, ein alter Trick der Dienste. Sein Herz hatte den Mann erkannt, bevor Jérôme richtig hinsah. Kein Zweifel, der deutsche Führungsoffizier, dem Irina verfallen war. Ihm galt
ihre Rose, noch im Untergang war sie dem Reiche treu … Jérôme wurde übel. Er erhob sich, stolperte aus der Loge. Er würde den Mann festsetzen lassen. Sofort.
    »Mesdames, Messieurs! Genießen Sie die Pause!«, schrie der Conférencier vom Bühnenrand in den tosenden Applaus.
     
    Kaum war der Kulissenschatten über die Lasarewa gefallen, erreichte sie der sonst so erhebende Applaus nicht mehr, schwand das rauschhafte Gefühl, vom Publikum vergöttert zu werden. Sie war nur noch die enttarnte Spionin Irina, die panisch zur Garderobe taumelte, unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen.
    Ihre gute Maria, die Hände in die graue Schürze gekrallt, hatte sich davor an die Wand gedrückt. »Madame, um Gottes willen, warten Sie. Beide Herren sind drinnen«, flüsterte sie.
    Irina zögerte. Keine Bewegung , zischte Heinrich hinter der Tür.
    »Bleiben Sie, ich flehe Sie an!« Maria wollte Irina am Arm festhalten, doch der Dienerin blieb nur der Überwurf des Kostüms in den Händen. Irina stürzte in ihre Garderobe.
    Heinrich stand mit ausgestrecktem Arm links vor dem chinesischen Paravent. Er zielte mit seinem Revolver auf Jérôme, der mit erhobenen Armen regungslos vor dem Stuhl verharrte.
    Das Licht der Garderobenlampen glänzte im Metall der Waffe.
    »Nein!«, schrie Irina.
    »Ich lasse nicht zu, dass du auf dem Schafott endest!« Heinrich spuckte jedes Wort aus. »Wenn hier jemand sterben
muss, dann er. Die französische Marine wird seinen Tod verwinden können.«
    »Sie werden hier nicht lebend herauskommen. Und den Trick«, Jérôme blickte zu der goldenen Rose vor Irinas Puderquaste, »kennen meine Männer auch.«
    Irina stürzte zu der Kunstblume und riss mit zitternden Fingern die Goldfolie vom Stengel. Wenn die Chiffriercodes in Frankreich blieben, dann erlaubte Jérôme vielleicht …
    »Er wird uns nicht gehen lassen.« Heinrich spannte den Revolver.
    »Irina, dieses Herz hat dich

Weitere Kostenlose Bücher