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Schneegeflüster

Titel: Schneegeflüster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind , Rebecca Fischer , Steffi von Wolff , Andrea Vanoni
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seinem Mund.
    Irina fuhr es eisig in die Glieder. Jérôme war tot! »Du hast ihn umgebracht.« Sie wusste nicht mehr, was sie denken, glauben sollte.
    Die Bühnenklingel schrillte, und es klopfte an der Tür. »Madame! Drei Minuten, Sie müssen doch noch in Ihr großes Kostüm steigen.«
    Alles war so unwirklich, auch Heinrichs kräftige Hände auf ihrem Kostüm dort am Ständer.
    »Ich helfe dir.« Heinrich hielt ihr das weiße Federkleid hin, das Maria sorgsam vorbereitet hatte. »Die Engelsflügel sind zum Anschnallen?«, fragte er und hob sie ihr auf den Rücken.
    Erneut klingelte es.
    »Madame! Eine Minute!«, rief Maria vor der Tür.
    Und auf einmal nahm die Lasarewa Irina ganz sanft in dem Arm. Lass dein Publikum jetzt nicht warten. Es wird dein letzter Auftritt sein. Sie sollen uns nicht vergessen. Sei grandios, mein frivoler Weihnachtsengel.
     
    Als der Schmerz zurückkehrte, spürte Jérôme einen Sog, der den bleiernen Sand aus seinem Körper vertrieb. Sein geschwollenes Gesicht brannte.
    »Mein Gott, Chef!« Eine gnädige Hand wusch ihm die Wange.
    Mit dem kühlenden Wasser kehrte die Erinnerung wieder. Jérôme versuchte sich umzudrehen, doch seine Muskeln widersetzten sich. In seiner Schläfe pochte es heftig. »Wie
spät …«, stammelte er. »Was ist mit Ir… mit der Lasarewa geschehen?«
    Er erkannte seinen bärbeißigen Adlatus erst, als der ihn auf Irinas Stuhl hievte. »Gleich sehen Sie wieder aus wie ein Mensch, Chef.« Wieder wischte Raymond ihm mit dem feuchten Tuch durchs Gesicht. »Die letzte Nummer vor dem Finale läuft gerade. Die Lasarewa ist unbeschreiblich, man meint den Engeln im Himmel unter den Rock zu schauen. Sie spielt alle an die Wand. Was für ein Weib.«
    Der Polizist sah Jérôme voller Begeisterung an.
    »Ich habe Sie nirgends gesehen, Chef. Und da dachte ich, vielleicht untersuchen Sie die Kulissen. Dann hat die alte Garderobiere mich zur Tür gewinkt und …« Raymond hielt ihm seine Uniformjacke hin. »Was ist passiert, Chef?«
    Jérôme zögerte, er hatte sich noch keine Antwort zurechtgelegt. Mit schmerzdumpfem Kopf versuchte er zu verstehen: Irinas deutscher Liebhaber war verschwunden, sie aber sang gerade auf der Bühne. Warum hatten die beiden nicht versucht zu fliehen? Bestimmt hatte dieser miese Deutsche Irina getäuscht, um seine Haut zu retten. Jérôme schlüpfte in die Jacke. Dabei stieß er mit der linken Hand an Papier, das tief im Ärmel steckte. Vorsichtig schob er es nach vorne hinaus.
    Raymond hob fragend die Augenbrauen. Jérôme faltete das Blatt auseinander. Die Chiffriercodes der Marine! Der Deutsche hatte sie nicht mitgenommen. »Mon dieu«, entfuhr es Jérôme. Er steckte das Blatt rasch ein, ordnete mühsam seine Haarsträhnen, dachte einen Moment nach. Wenn der Deutsche auf das von Irina erschlichene Staatsgeheimnis verzichtete, bot er ihm ein Geschäft an: Die Codes gegen Irinas Freiheit. Der Mann musste einen Plan haben, nur
wusste Jérôme nicht, wie dieser aussah. Er durfte um Irinas willen jetzt keinen Fehler machen. »Raymond, hat irgendjemand das Theater verlassen, seit Sie mich das letzte Mal gesehen haben?«
    »Gewiss nicht. Ich habe Ordre gegeben, dass niemand ohne meine Erlaubnis passieren darf.«
    Jérôme warf einen Blick zum angelehnten Fensterchen. »Was ist mit dem Dach?«
    »Daran habe ich auch gedacht. Vorhin, als ich Sie suchen ging, habe ich den jungen Bernard hinaufgeschickt.«
    »Dann ist der Mann, der mich niedergeschlagen hat, noch im Moulin Rouge. Gehen wir unauffällig in den Saal zurück.« Mit der Suche nach ihm konnte Jérôme sich Zeit lassen, bis er Irina sicher auf der Flucht wusste. »Besorgen Sie mir ein Theaterfernglas!«
    Raymond griff in die Innentasche seiner Jacke. »Hier, Chef.«
    Jérôme sah seinen Adlatus an. »Sie überraschen mich.«
    Der kratzte sich verlegen am Stiernacken. »Nun ja. Das Ding vergrößert halt die schönsten Details. Und wenn ich schon mal die prächtigsten Mädchen von Paris tanzen sehen kann …«
     
    Trompetenfanfaren. Irina wirbelte um das Bühnenbett des vom Geschenkebringen ach so müden Weihnachtsmanns herum, dass der Federsaum ihres Engelskostüms nur so flog. Der bärtige Pierre war heute in der Choreografie auf dem Punkt. Rechtzeitig hatte er die rote Kappe von sich geschleudert, nach hinten zu den die Beine schwingenden Chormädchen, die dabei Rieselschnee über die Szene warfen: »Rute oder Sack, Pelze oder Frack, der Weihnachtsmann,
der Weihnachtsmann, gegen den kommt

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