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Schneegeflüster

Titel: Schneegeflüster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind , Rebecca Fischer , Steffi von Wolff , Andrea Vanoni
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keiner an …«
    Jetzt packte Pierre auch schon die Pelzhandschuhe vors Bett. Die Harfen legten zu. Irina sprang zwei Pirouetten und eine Caprice, setzte sich auf dem extra breiten Brett des Kopfendes in Positur. Sie fasste die Vorrichtung in ihren Engelsflügeln und holte Luft. Ihr Einsatz fiel genau auf das Ende des Trommelwirbels. »Was macht denn der Weihnachtsmann im Bett, wenn die Engel sind so nett?« Irina schwenkte zum Rhythmus der Melodie die Flügel, die sich nun durch die verborgene Mechanik immer weiter entfalteten. Irina sang weiter: »Denn der Engelschor - schließt die Augen gern davor - dass der Weihnachtsmann - nicht nur eine Nacht lang kann …« Gleich waren die Flügel so weit ausgefahren, dass sich Pierre für einen Moment dahinter verbergen konnte. »Denn im Himmel hat man’s gern …«
    Irina fühlte, wie der ausverkaufte Saal gebannt an ihren Lippen hing, wie diese unglaubliche Bewunderung auf sie einströmte. In den drei übereinanderliegenden Reihen der Logen leuchteten die Gesichter. Niemand tuschelte im Parkett. Da sah sie ihn stehen, ganz rechts am Durchgang zum Foyer. Jérôme!
    »Denn im Himmel hat man’s gern …«, wiederholte Irina vor Schreck die letzte Zeile. Der Orchestermeister warf den Kopf herum und gab den Harfen Zeichen, die Melodie rollte wieder heran, wie die schiere Freude durch Irinas Adern. Er war nicht tot! Jérôme lebte - und so war auch Heinrich kein Mörder!
    »… und poussiert auf jedem Stern …«, flüsterte ihr Maria von vorne aus der Souffleusen-Muschel zu.
    Du stehst auf der Bühne. Irina hatte sich wieder in der
Gewalt. »Ssst«, hörte sie Pierre das Zeichen machen, und sie fiel mit flatternden Flügeln ins Bett. Pierre hatte unterdessen den falschen Bauch und Bart abgelegt und präsentierte sich dem Saal als nackter Apoll, jede Faser des Körpers vom Tanzen gestählt und mit üppiger Ausstattung. Er warf sich auf sie, gerade so, dass seine Brust sie nicht erdrückte, und das Publikum sie beide singen sehen konnte. »Denn auch im Himmel hat man’s gern und poussiert auf jedem Stern.« Irina war froh, dass es Pierre mehr mit der Männerwelt hatte. Sie hatte in solchen Inszenierungen schon einiges erdulden müssen. »Drum macht euch keine Sorgen - der Weihnachtsmann kommt auch morgen - die Engel sehen weg - wenn der Weihnachtsmann im Bett …«
    Wieder ließ sie die Flügel über Pierres theatralischen Verrenkungen flattern, während das Publikum johlte.
    »Was macht denn der Weihnachtsmann im Bett?« Die Chormädchen tanzten beim Refrain um sie herum.
    Irinas Blick fiel auf die zweite Loge links. Und da fiel ihr ein, was Heinrich ihr nachgerufen hatte. Noch vor Ende der Nummer, mein Schatz, wirst du … Irina hatte den Rest nicht hören wollen, weil sie noch an Jérômes Tod geglaubt und den verrückten Gedanken gehegt hatte, nach der Revue in der Garderobe die Minister um Gnade anzuflehen. Nichts scheute man in Paris mehr als einen Skandal.
    »Weihnachtsmann im Bett …« Als liefe die Zeit auf einmal langsamer, sah sie Heinrich in der Loge seelenruhig eine Champagnerflasche aus dem Kühler nehmen; er ignorierte die Proteste der anderen Gäste. Dann hob er den großen silbernen Eimer an und warf ihn ins Bühnenbild mitten auf den elektrischen Weihnachtsstern, der hinter ihr leuchtete.

    Ein paar Wassertropfen trafen sie, es krachte furchtbar in den Kulissenbrettern, ein zischender Knall - und das Moulin Rouge versank in Finsternis.
    Pierre kreischte so laut wie die Chormädchen. Mit dem Kurzschluss hatte Heinrich ihr eine Chance verschafft. Irina reagierte sofort und warf die Engelsflügel von sich. Im Theater kannte sie jeden Winkel, selbst wenn sie in der Dunkelheit blind war wie alle anderen.
     
    Heinrich kämpfte sich durch das Chaos der panischen Menschen. Irgendwer hatte spärlich flackernde Windlichter entzündet. Rücksichtslos bahnte er sich einen Weg zur Personaltreppe. Überall tönten hysterische Rufe. Vorn im Foyer war es voll, dort würden sich die Leute eher gegenseitig zu Tode trampeln. Sein Herz raste, er konnte nur hoffen, dass Irina so schlau war, durch ein Fenster im ersten Stock zum nächsten Hof hinüberzuspringen.
    Das plötzlich wieder aufflammende Licht blendete ihn. Erleichtertes Raunen dröhnte durch alle Winkel der Kulissen.
    »Da ist er!«, schrie jemand.
    Der Franzose! Heinrich wollte kehrtmachen, doch zwei falsche Saaldiener warfen sich schon auf ihn und hielten ihn fest.
    »Zieht ihn ins Licht!«
    Unter dem Probenplan

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