Schneegeflüster
glitzernde Anhänger, Kerzen, Lametta und anderen Weihnachtsschmuck hervor, den sie aus heimischen Beständen mitgebracht hatten. Inka war gerührt. Doch sofort fiel ihr der arme Frank in seinem Verlies wieder ein. Unter einem Vorwand überließ sie den anderen die Entscheidung über die beste Bestückung der Tanne und eilte unauffällig zur Kellertür.
»Frank? Bist du noch da?«, flüsterte sie hektisch. Eine äußerst dumme Frage, aber Inka war jetzt so nervös, dass sie beinahe zitterte. »Hast du außer mir noch jemanden zum Fest eingeladen?«, kam es leise zurück. »Davon wusste ich nichts!«, sagte Inka eindringlich. »Ich bitte dich nur stillzuhalten! Ich will mir nicht wochenlang die Bemerkungen der anderen anhören müssen. Bitte!« - »Was krieg ich dafür?«, fragte Frank zurück. »Alles, was du willst!« Das war vielleicht ein etwas gewagtes Versprechen, doch Inka geriet allmählich in Panik. Sie wollte in der Branche auf keinen Fall als Männer einkerkernde Furie verschrien sein. Und während Frank offensichtlich über ihren Einsatz nachdachte, lauschte sie eine gefühlte Ewigkeit gespannt an der Tür.
»Wo bleibst du denn?« Maskenbildnerin Nathalie kam aus dem Wohnzimmer, wo immer noch heftig über die passende Tannendekoration diskutiert wurde. »Was machst du hier draußen?« Um sie abzulenken, wandte Inka sich von der Kellertür ab. »Äh … nix. Was ist denn?«, fragte sie. Nathalie fasste sie am Arm und zog sie den Flur entlang. »Wir brauchen unbedingt deine Meinung. Komm doch mal mit!« Nachdem von Frank nichts mehr zu hören war, nahm Inka an, dass er den Deal akzeptiert hatte. Nur was war ihr Einsatz?
Die Tanne war bereits halb geschmückt, aber bei der Frage nach den geeigneten Kerzen gab es erneut Diskussionen. »Das habt ihr aber toll gemacht«, rief Inka beim Betreten des Raums betont überschwänglich, damit niemand auf die Idee kam zu fragen, warum sie so lange fort gewesen sei. Das Kerzenproblem wurde schnell gelöst, und die Kollegen schmückten eifrig und fröhlich weiter. Gerade als Harry Secombe in der Küche »O come all ye faithful« anstimmte und alle übereinkamen, sich nun auch noch der Weihnachtsbäckerei zu widmen, klingelte es an der Tür. Inka erstarrte. Der Schlüsseldienst. Wie nur sollte sie ihn unauffällig ins Haus, an die Arbeit und anschließend zusammen mit Frank ebenso unbemerkt wieder aus der Villa lotsen?
»Ich mach das schon«, rief sie über die CD hinweg und verließ die inzwischen recht gut gefüllte Küche. Der rettende Engel der Firma »OpenExpress« vor der Haustür war einigermaßen überrascht, als Inka ihm erklärte, dass er seine Aufgabe nicht nur möglichst schnell, sondern am besten auch lautlos erledigen müsse. Zum Glück stellte er keine unangenehmen Fragen und probierte stattdessen ohne große Worte, mit einer Zange den im Schloss befindlichen
Schlüsselteil zu drehen. »Das wird so nichts«, meinte er schließlich, nachdem auch der zehnte Versuch keinen Erfolg gebracht hatte. Inka saß wie auf Kohlen und sah immer wieder zur Küchentür, hinter der ihre Kollegen inzwischen ausgelassen Plätzchen formten.
Der Fachmann zerstörte jede Hoffnung auf eine schnelle Bereinigung der peinlichen Angelegenheit. »Falls Sie einen Zweitschlüssel haben, könnte ich eventuell das Bruchstück entfernen. Ansonsten hilft nur Aufbohren.« - »Ich habe keinen«, gab Inka kleinlaut zu. In der Küche ertönte lautes Gelächter, die Stimmung schien also gut zu sein. Ganz im Gegensatz zu der im Flur, wo sich nun Frank aus dem Keller zu Wort meldete: »Was gibt’s da noch zu überlegen? Mir wird langsam wirklich kalt.«
Als der Herr vom Schlüsseldienst begann, seine Bohrmaschine auszupacken, verschwand auch noch der letzte Rest von Inkas Weihnachtsgefühl. Mit Frank hatte sie es sich wohl gründlich verscherzt, der Fremde hielt sie vermutlich für nicht ganz dicht, und nebenan würde ein Großteil des Filmteams in Kürze unüberhörbar auf ihr äußerst prekäres Missgeschick aufmerksam werden.
Gerade als der Mann den Bohrer ansetzen und mit dem Höllenlärm loslegen wollte, kam Inka die rettende Idee. »Warten Sie noch einen Moment«, flüsterte sie dem Handwerker zu, lief zur Küchentür und schlüpfte schnell in die Backstube, wo es inzwischen köstlich nach Weihnachtsbäckerei roch.
Die Crew hatte Makronen, Lebkuchen und einen Christstollen geformt und bereits mehrere Bleche im Backofen verstaut. »Das Lied liebe ich«, rief Inka laut. Sie eilte zum
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