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Schneegeflüster

Titel: Schneegeflüster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind , Rebecca Fischer , Steffi von Wolff , Andrea Vanoni
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Irina den Stern aus Strass und drapierte ihn auf der schneeweißen Kappe mit den irrwitzig langen Papageienfedern.
    Ihr Lächeln galt dem gepuderten Engelsgesicht im Spiegel ihrer Garderobe. Jetzt hatte sie sich wieder in die Lasarewa verwandelt, der ganz Paris zu Füßen lag. Mit ihrer frivolen Weihnachtsrevue war sie zur Königin der Saison 1899 aufgestiegen.
    Irina zog die Lippen mit Silberstift nach. Jeder verstand doch, dass der arme Weihnachtsmann, nachdem er all die Kinderchen beschenkt hatte, sich mit den Küssen holder Engelchen belohnen musste. Umso besser, wenn sie gleich im Wolkenbett für ihn sangen …
    Hätte Irina nicht schon in Sankt Petersburg und Berlin Triumphe gefeiert, der Besitzer des Moulin Rouge hätte ihre Revue-Idee abgelehnt.
    Doch siehe da: Sogar drei Minister saßen inkognito im Publikum - an Weihnachten!

    Einen Moment lang genoss Irina den Duft des Orchideen-Buketts in der Garderobe, das ihr gestern ein Großfürst nach der Vorstellung überreicht hatte.
    Sie hatte viel wagen müssen, um ganz nach oben zu gelangen. Als dünne Göre war sie aus dem miesen schlesischen Kaff an der polnischen Grenze ausgerissen - Zuhause mochte sie es nicht mehr nennen, nachdem diese Leute … Irina schnippte sich eine Federfussel vom Auge. Vorbei. Die Zeit im Tingeltangel in Breslau war eine harte Schule gewesen. Hätte Irina sich nicht in eine verrückte wilde Ehe mit dem erstbesten Musiker gestürzt, wer weiß, wie sie unter die Räder gekommen wäre.
    Die schrille Bühnenklingel erinnerte Irina daran, dass aus ihr keineswegs, wie alle damals prophezeit hatten, ein gefallenes Mädchen geworden war. Denn ein weiser alter König hatte eines Nachts ihr Talent entdeckt und sie vom Fleck weg nach Berlin engagiert. Sie hatte nicht einmal nett zu ihm sein müssen. In seinem Variété hatte er ihr den russischen Akzent verpasst und sie als Irina Lasarewa die erste Solo-Nummer singen lassen. Sie war aufgestiegen wie der Stern von Bethlehem, den sie jetzt gleich auf der Bühne verkörpern würde. Von da an hatte Irina sich nicht mehr schlecht behandeln lassen müssen.
    Was für ein aufregendes Leben! Sie genoss die abenteuerliche Welt der Café-Théâtres, Music Halls und Variétés in ganz Europa. Irina reiste mal im Orient-Express, mal im Salonwagen eines Herzogs, trug französische Roben und englischen Schmuck. Champagner trank sie, wann sie wollte - und statt lausiger Jungs verwöhnten sie heute gleich zwei vornehme Herren.
    Die Bühnenklingel schrillte erneut. Irina breitete die Arme
weit aus und räkelte sich. Männer in schnittigen Uniformen hatte sie schon immer gemocht. Was konnte sie dafür, dass es so viele davon gab?
    Irina betrachtete die beiden Umschläge rechts und links am Spiegelrand. Der fliederfarbene war für ihren Jérôme, Stabsoffizier der französischen Marine, und der in Rosé war für ihren Heinrich, Diplomat im Reichsministerium des Auswärtigen. Beiden schenkte Irina zu Weihnachten eine Freikarte für ihre nächste Revue in Amsterdam. Sie war stets gerecht, beide bekamen immer das Gleiche: nämlich sie, Irina, mit Haut und Haar - nur eben nicht in der gleichen Woche.
    Was würde sie nur machen, wenn sie jemals einen Mann traf, der die Qualitäten der beiden in sich vereinte? Das wäre nicht auszuhalten. Heute Nacht würde der kluge, feingliedrige Jérôme ihr Begleiter sein, der sie so zärtlich liebte und Gedichte für sie schrieb …
    Ein hartes Klopfen schreckte sie auf. »Madame, Ihr Auftritt! Zwei Minuten!«, flüsterte Maria durch die Tür.
    Und was würde sie erst ohne ihren guten Geist machen? Die alte Garderobiere verlor nie den Überblick. »Komme schon! Hast du meinen Froufrou?«
    Maria trug ihr die endlose Federboa sorgsam durch den Staub der verwinkelten Gänge des Moulin Rouge bis an den Kulissenrand nach.
    Die große Trommel wirbelte schon. Irina sammelte sich für den schwierigen Fünfersprung zu Anfang der Nummer.
    Der Conférencier jubelte von der anderen Seite: »Mesdames, Messieurs - hier ist sie. Die Lasarewa als Stern von Bethlehem!«

    Als schwebte ein Glitzerstreif durch den Himmel, so sprang seine Geliebte auf die Bühne. Welche Illusion! Jérôme hielt sich mit beiden Händen an den Armlehnen des Logensessels fest. Niemand durfte erkennen, wie sehr ihr Verrat ihn niederschmetterte, ja fast vernichtete. Trotzdem verzauberte ihn das lachende Engelsgesicht Irinas, die durch den falschen Schnee der Dekoration tanzte, bis sie sich in der Bühnenmitte in Positur

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