Schneeköniginnen
hier den
halben Tag ‘rum.«
»Welche Bescheuerten?«
»Na, die da drin.« Katie wies auf die
griesgrämigen Beamten der Einwanderungsbehörde in ihren Kabäuschen, die sich
ein Vergnügen daraus machten, die Ankommenden in der Wartereihe schmoren zu
lassen, um ihnen dann mit ernsthafter Miene die idiotischsten Fragen zu
stellen. »Hast du die Adresse?«
Aha, also doch. »Welche Adresse?« Anne
stellte sich dumm.
»Du mußt denen unbedingt ‘ne Adresse
angeben, irgendeine, wo du dich aufzuhalten gedenkst, vorher geben die keine
Ruhe.«
»Ach so. Sicher habe ich die. Aber was
sagst du denen?«
Katie zog eine hochmütige Miene auf:
»Ich muß da nicht durch. Ich habe einen amerikanischen Paß. Tschau!« Sie
streckte ihr die Hand hin, und Anne drückte sie widerwillig. Sie fühlte sich an
wie die Haut einer Riesenschlange, warm, trocken und ein wenig rauh.
Kindisch hopsend bewegte Katie sich
auf den nahezu leeren Schalter zu, welcher der privilegierten Kaste der
amerikanischen Staatsbürger vorbehalten war. Sekunden später war sie
verschwunden.
Anne atmete auf. Sie war diese lästige
Person doch noch losgeworden, hatte die Einreiseprozedur glimpflich überstanden
und fand sich in einer geordneten Schlange vor dem Taxistand am
Flughafengebäude wieder. Eine umschleierte Vormittagssonne tauchte die Welt in
ein gelbes Licht. Die Hitze legte sich wie ein dichter Vorhang über sie. Im
Nullkommanichts war ihre Bluse ein verschwitzter Lappen, die Strumpfhose klebte
wie zäher Leim auf der Haut, ihr Deo verabschiedete sich gerade endgültig.
Ein deutsches Touristenehepaar,
kamerabehängt und in Shorts, sprach sie an. Die Frau war eine angejahrte Wasserstoffblondine
mit rigorosem Kurzhaarschnitt, der Mann hatte Schweißperlen auf der Nase und
schob einen Schmerbauch vor sich her. Sie trugen T-Shirts vom Hardrock Café in
Bangkok, Schildmützen von McDonalds, er rot, sie grün, und wollten die Taxifahrt
nach Manhattan mit ihr teilen. Anne war inzwischen strahlender Laune, und das
sollte auch so bleiben. Also ließ sie das Pärchen schroff abblitzen. Jetzt
waren die zwei natürlich beleidigt.
»Loß guat sei, Schätzle«, sagte die
Frau schnippisch und eine Spur zu laut, »des ham mir doch net nötig, mir könnet
uns des scho no leischte!«
Wenig später warf sich Anne
erwartungsvoll in den Fond eines monströsen gelben Vehikels. Der Taxifahrer war
Inder, jedenfalls schloß Anne das aus der Plakette, die am Armaturenbrett
klebte, sein Name bestand aus zehn bis fünfzehn absolut unaussprechlichen
Silben. Außerdem war da noch der Turban. Sie nannte ihm die Adresse, und er
fuhr mit einem Ruck los, der sie unsanft in die abgewetzten Kunstlederpolster
schleuderte.
In halsbrecherischem Tempo ging es
durch ein paar wenig einnehmende Viertel. Wo blieb das eindrucksvolle, fotogene
New York?
Anne bat den Fahrer, über die Brooklyn
Bridge zu fahren, worauf sie zwei dunkle Augen entgeistert aus dem Rückspiegel
anstarrten.
»Das ist ein Umweg. Wir verlieren
dadurch eine Menge Zeit!« Es klang vorwurfsvoll. Zeit zu verlieren schien in
dieser Stadt ein ernstes Vergehen zu sein. Sein Englisch war schlechter als
Annes.
»Macht nichts«, gab sie barsch zurück.
»Sie sind nicht von hier«, resümierte
er daraufhin. Anne frohlockte innerlich darüber. Wenigstens war sie nicht
sofort als Touristin entlarvt worden.
»Aus England?«
»Germany.«
»Ah.«
Verkehrsmäßig ging es hier ernsthaft
zur Sache. Schwärme von Taxis, wohin man sah, nur noch Gelb auf den Straßen,
die sich teilweise in recht verlottertem Zustand befanden. Bloß gut, daß ich
keinen Mietwagen genommen habe, dachte Anne, und krallte sich in den Sitz.
Dann die Skyline. Ein einziges
Déjà-vu-Erlebnis. Eine Filmkulisse, etwas größer als erwartet zwar, aber
dennoch vertraut. Tiefe, enge Schluchten trennten himmelwärts strebende
Vertikalen, geballte Materie drängelte sich auf engstem Raum, und Anne
überlegte, wann es die Insel wohl leid sei, das Gewicht dieser Masse auf sich
zu erdulden, und die ganze Pracht wie Atlantis im Meer versinken würde.
Sie bogen ab, es wurde ruhiger.
Prächtige viktorianische Häuser, dazwischen ein paar mehr oder weniger
phantasielose Neubauten, es hätte ebensogut eine bessere Gegend in London oder
Paris sein können.
Der Fahrer hielt vor einem pompösen
vierstöckigen Kasten an der Upper East Side, er mochte aus der Jahrhundertwende
stammen. Gegenüber, das mußte eine Bar sein, ein Budweiser Schild hing über
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