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Schneeköniginnen

Schneeköniginnen

Titel: Schneeköniginnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
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Gärtchen verwandelt worden waren. Doch stellenweise, zaghaft und
irgendwie verdächtig, wies das Vorhandensein von neuen Läden, Coffee Shops und
sogar Restaurants auf gewisse Veränderungen hin.
    Katie betrachtete die Sache skeptisch.
Hier verbargen sich seit Jahren die Sorgenfalten von Manhattans strahlendem
Antlitz, hier lebten, gleich nach Harlem, die meisten Sozialhilfeempfänger —
Schwarze, Latinos, gescheiterte Existenzen verschiedenster Nationalitäten, an
denen der amerikanische Traum spurlos vorübergezogen war. War diese verlotterte
Nachbarschaft den Mächtigen der Stadt auf einmal ein Dorn im Auge? Versuchten
sie ernsthaft, diese »High Crime Area« zu entschärfen, den Schandfleck nach
bewährtem Muster zu beseitigen? Möglich wäre es, denn der Touristenrummel im
benachbarten East Village breitete sich unaufhaltsam wie ein wucherndes
Krebsgeschwür aus. Vielleicht würden die vergammelten Blocks und die uralten
Häuser in Kürze von Spekulanten aufgekauft, abgerissen, saniert und stückweise
an die ersten Yuppies verscherbelt werden. Ähnlich wie es drüben im East
Village passiert war, und davor in Soho, und davor in Greenwich...
    Sie lief weiter und wälzte ein paar
melancholische Gedanken. Sicher, dies war nicht die Park Avenue, aber trotzdem
hatte sie sich hier einigermaßen wohl gefühlt. Und viel gelernt. Und — es gab
wesentlich Schlimmeres. Die South Bronx zum Beispiel, oder gewisse Teile von
Brooklyn, dagegen war dies hier geradezu Beverly Hills, nur ohne Hügel. Wenn
man ein paar Regeln beachtete, ließ es sich in der Lower East Side eigentlich
ganz passabel überleben.
    Katies ehemaliges Wohnhaus, in einer
Seitenstraße zwischen der Ave B und der Ave C, der »Loisaida«, wie sie von den
Latinos dort genannt wurde, gelegen, hatte dem sozialen Fortschritt erfolgreich
getrotzt. Ebenso der Rest der Straße, deren Erscheinungsbild Beirut entschieden
näher kam als Beverly Hills. Die Yuppies würden noch ganz ordentlich was zu tun
bekommen, wollten sie hier tatsächlich aufräumen.
    Der triste, sechsstöckige
Brownstone-Bau war versifft wie eh und je, und eigentlich abbruchreif. Über die
rußgeschwärzte Fassade rankte sich ein Gewirr von Feuerleitern, beinahe
romantisch anzusehen, es sei denn man wohnte darin. Neue Graffitis waren über
die verblassenden alten gesprüht worden. Vom Nebengebäude stand nur noch die
ausgehöhlte Hälfte. Und dieser Müll überall! Früher hatte Katie das nicht so
deutlich wahrgenommen, aber nun, da sie aus dem sauberen Deutschland kam...
    Sie ging ohne zu zögern hinein.
Zerbrochene Flaschen lagen im Hausflur, es stank säuerlich, und um ein Haar
wäre sie in die halbverdauten Überreste einer Mahlzeit getreten. Nein, stellte
Katie fest, die Armut hier hatte wirklich nichts Romantisches.
    Sie hielt sich die Nase zu und
studierte dabei die Namensschilder an den seit Jahr und Tag nicht
funktionierenden Klingeln, die noch nicht abgerissen worden waren. Das brachte
nichts. Dann rannte sie die Treppe hoch. Sie hatte wildes Herzklopfen, vom
Hochlaufen und überhaupt. Was, wenn ihr Bruder tatsächlich noch da wäre?
    Auf ihr hartnäckiges Klopfen öffnete
ihr eine junge Puertoricanerin, etwa um die zwanzig, ein verlebtes Gesicht,
zuviel Schminke. Sie hielt ein Baby im Arm, roch nach Fusel und fuhr Katie böse
an:
    »Wenn Sie vom Jugendamt sind, können
Sie sich sofort wieder verpissen.«
    »Ich bin nicht vom Jugendamt!« sagte
Katie.
    »Erst letzte Woche war einer da, mir
reicht’s jetzt allmählich, ihr miesen...«
    »Ich suche meinen Bruder. Jeff. Jeff Shannahan.
Er hat hier gewohnt.« Katie brüllte in die spanischen Schimpftiraden der Frau
hinein. Die verstummte und sah Katie von oben bis unten an.
    »Kenn’ keinen Shannon.«
    »Shanna-han.«
    »Kenn’ ich trotzdem nicht. Hau’n Sie
ab.«
    »Seit wann wohnen Sie hier?« bohrte
Katie.
    »Weiß nicht.« Die Frau sah sie
fordernd an. Katie begriff. Sie kramte in ihrer Handtasche, und fünf Dollar
wechselten den Besitzer.
    »Seit ‘nem halben Jahr«, antwortete
die Frau.
    »Haben Sie ihn noch getroffen?«
    »Nee, die Bude stand schon ein paar
Wochen leer. Was heißt leer... ‘nen Riesensaustall hat Ihr feiner Herr Bruder
da hinterlassen!«
    Soviel Katie durch den Türspalt
erkennen konnte, hatte sich das Ambiente seither nicht nennenswert verändert.
Das Baby begann zu quäken.
    »Sonst noch was?« fragte die Dame des
Hauses genervt.
    »Nein, danke.« Die Tür wurde
zugeknallt. Fünf Dollar für nichts.
    Sie

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