Schneekuesse
Rolle gespielt hat. Jeder hat über seine Probleme gesprochen und unumwunden zugegeben, nicht mit sich selbst zufrieden zu sein.
Während Eric auf den kopfsteingepflasterten Hof des Bauern einbiegt, fällt ihm wieder ein, wie Hannah ihren Unmut darüber geäußert hat, niemand zu sein und nichts zu können. Wie kommt sie bloß darauf? So unbeschwert ist sie also eigentlich gar nicht. Aber gerade das verbindet sie alle miteinander. Sie haben Ecken und Kanten. Perfektion würde Eric abstoßen.
Hannah misst Zucker und Mehl ab. „Weißt du ...“, sagt sie zu Linda, die gerade Milch aus der großen Kanne, die Eric ihnen vorbeigebracht hat, in eine Tasse kippt, „der Duft von selbstgebackenen Keksen gehört zu den schönsten Erinnerungen an meine Kindheit.“
„So lange ist die doch noch gar nicht her!“, lacht Linda.
Hannah lässt sich nicht beirren. „Dieser Geruch ist einfach Weihnachten. Und wie lange liegt es zurück, dass ich selbst welche gebacken habe? Sonst saß ich immer bei meinen Eltern und ließ mich von meiner Mutter mit Keksen bedienen, die sie an den Tagen zuvor fabriziert hat.“
„Frag mich mal! Bei mir ist das auch ewig her. Zur Weihnachtsfeier in der Firma, da habe ich jedes Jahr meine würzigen Früchteplätzchen mitgebracht. Die waren der Hit! Da haben sich alle die Finger nach geleckt.“
„Dann backen wir die auf jeden Fall! Und dazu noch Vanillekipferl, die gehören zu Weihnachten, ja?“, ruft Hannah und staubt mit einer Tüte Mehl die Arbeitsplatte ein, sodass Lindas Brille beschlägt.
„He, he, nicht so stürmisch! Beim Backen braucht man Muße!“ Linda muss schon wieder lachen. Sie fühlt sich zwanzig Jahre jünger und leicht, so leicht. Es ist, als ob der gestrige Morgen, an dem sie mit den Gedanken aufstand, nichts mehr sehen und hören und vor allem fühlen zu wollen, ausgelöscht ist. So, als hätte es diese Verzweiflung nie gegeben. An die Rückkehr in ihre einsame Wohnung will sie nicht denken. Sie lebt hier und jetzt, was morgen ist, hat noch lange Zeit.
„Und was ist mit Lussekattern?“, fragt Netty, die neugierig ihre Nase in die Backstube steckt.
„Kenne ich nicht?“, Linda guckt Netty fragend an.
„Das ist ein schwedisches Safrangebäck, was man zum Luciafest isst. Ich habe nach dem Abi zwei Jahre bei meiner Tante in Stockholm gewohnt, weil ich dort studiert habe. Damals haben wir jede Menge Lussekatter gebacken. Es war so eine schöne unbeschwerte Zeit! Seitdem habe ich sie jedes Jahr in der Weihnachtszeit gebacken. Die Jungs mögen sie ganz gerne. Diesmal bin ich aber zu nichts gekommen.“ Netty seufzt wehmütig.
Ihr zuliebe nehmen die drei die Lussekatter zuerst in Angriff. Sobald der Teig fertig ist, verschwindet Netty zufrieden nach draußen.
„Als Nächstes die Früchteplätzchen! Hmm, lecker!“ Hannah nascht ein Stückchen Zitronat aus der Packung, die Linda eben aufreißt.
„Finger weg!“ Linda fühlt sich in der Rolle der Großmutter, die der naschenden Enkelin mit dem Finger droht. Sie genießt diese Rolle.
Linda rührt kraftvoll Butter schaumig, in die Hannah eine Mischung aus Zucker und Vanillezucker rieseln lässt. Sie schlägt zwei Eier auf und schlägt sie unter die Teigmasse. „So, und jetzt die Gewürze!“
Hannah holt das Salzfass, Zimt, Nelken und Kardamom. „Hm, wie das duftet!“ Sie steckt ihre Nase in eine Tüte und muss prompt niesen.
„Auf die richtige Mischung kommt es an!“ Linda misst konzentriert die Mengen ab. Sie siebt Mehl und Backpulver.
Hannah rührt alles in den Teig, den sie nun noch mit Mandeln, Orangeat und Zitronat abschmecken. Sie kneten die Masse durch und rollen sie zu einer großen Kugel zusammen, aus der sie unzählige kleine Kugeln formen und diese auf das Backblech setzen.
„Und schieb in den Ofen rein!“, singt Hannah.
Während Hannah und Linda backen, spaziert Netty durch den Garten. Sie hat sich dick in ihren Steppmantel eingehüllt, eine Wollmütze über die Ohren gezogen und stapft nun durch den Schnee. Warum sind sie nicht schon lange mal auf die Idee gekommen, hier Weihnachten zu feiern? Diese klare Winterluft – endlich richtig durchatmen!
Netty bahnt sich einen Weg durch den Schnee. Mechanisch zerstampfen ihre Füße die weiße Pracht. Beinahe fühlt sie sich schuldig, dieses Wunderwerk der Natur zu zerstören. Ach, was, keine Schuldgefühle! Das hat sie ja selbst heute Morgen zu Linda gesagt. Und die Kinder, und Ulf? Sie schüttelt Schnee von dem Ast einer Tanne und wischt
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