Schneemann
gern die Luft von mir abschnüren lassen.”
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Er versuchte zu schreien, versuchte den letzten Rest Luft, der noch in seinem Körper war, an dem eisernen Griff der Schlinge vorbeizupressen, aber es war unmöglich. Mein Gott, wollte sie nicht mal ein Geständnis von ihm hören? Dann spürte er es. Ein leichtes Brausen im Hirn, wie das Prickeln von Champagnerblasen. War es das, würde es so zu Ende gehen? So leicht? Er wollte nicht, dass es so leicht war.
“Ich werde dich im Wohnzimmer aufhängen”, versprach die Stimme an seinem Ohr, während eine Hand liebevoll seinen Kopf tätschelte. “Mit dem Gesicht zum Fjord. Damit du eine schöne Aussicht hast.”
Dann kam ein dünnes Pfeifen. Wie der Alarmton von so einer Herz-Lungen-Maschine im Film, dachte er. Wenn die Kurve mit einem Mal ganz flach ist und das Herz nicht mehr schlägt.
KAPITEL 26
19. Tag. Schweigen
Harry drückte noch einmal die Klingel von Arve Støp.
Ein Nachtschwärmer, der offensichtlich ohne Beute nach Hause gehen musste, lief über die Kanalbrücke und betrachtete den schwarzen Amazon, der mitten auf dem ansonsten autofreien Platz in Aker Brygge stand.
“Der macht garantiert nicht auf, wenn er Damenbesuch hat”, meinte Bjorn Holm und sah an der drei Meter hohen Tür nach oben.
Harry drückte die anderen Klingeln.
“Das sind alles nur Büros”, erklärte Bjorn Holm. “Støp wohnt allein. Ganz oben, das hab ich mal irgendwo gelesen.”
Harry sah sich um.
“Nein “, sagte Holm, der im nächsten Moment verstand, woran Harry dachte. “Mit einem Brecheisen kriegen wir die nicht auf. Und das ist Panzerglas. Wir müssen warten, bis der Hausmeister … “
Doch Harry war schon auf dem Weg zum Auto. Und dieses Mal gelang es Holm nicht, den Gedanken seines Hauptkommissars zu folgen. Jedenfalls nicht, bevor Harry auf dem Fahrersitz saß und Bjorn siedend heiß einfiel, dass die Schlüssel noch steckten.
“Nein, Harry, nicht! Nicht … “
Der Rest wurde vom Gebrüll des Motors übertönt. Die Räder drehten auf dem regennassen Pflaster durch, ehe sie Halt fanden. Bjorn Holm stellte sich mit den Armen wedelnd in den Weg, sah dann aber den Gesichtsausdruck des Kommissars hinter dem Steuer und trat zur Seite. Als die Stoßstange des Amazon die Tür mit einem dumpfen Knall traf, verwandelte sich das Glas in weiße Kristalle, die für einen Moment lautlos in der Luft hingen, ehe sie klirrend zu Boden gingen. Noch bevor sich Bjorn Holm einen Eindruck vom entstandenen Schaden machen konnte, war Harry aus dem Auto gesprungen und durch die jetzt glaslose Eingangstür getreten.
Bjorn rannte ihm verzweifelt fluchend nach. Harry hatte einen der großen Töpfe mit den mannshohen Palmen hochgehoben, schleppte ihn zum Aufzug und drückte den Knopf. Als sich die Aluminiumtüren öffneten, platzierte er den Topf dazwischen und zeigte auf eine weiße Tür mit einem grünen Exit-Schild:
“Wenn du die Nottreppe nimmst und ich das normale Treppenhaus, sind alle Fluchtwege blockiert. Wir treffen uns im siebten Stock.”
Bjorn Holm war schon schweißnass, als er über die schmale Stahltreppe in den dritten Stock kam. Weder sein Kopf noch sein Körper waren auf so etwas gefasst gewesen. Verdammt, er war Kriminaltechniker! Sein Ding war es, dramatische Geschehnisse zu rekonstruieren, nicht zu konstruieren.
Er blieb einen Augenblick stehen, hörte aber nur das ersterbende Echo seiner eigenen Schritte und seinen keuchenden Atem. Was sollte er tun, wenn ihm jemand begegnete? Harry hatte ihn gebeten, seine Dienstwaffe mit in die Seilduksgata zu nehmen, aber hatte Harry wirklich gemeint, dass er die auch benutzen sollte? Bjorn packte das Geländer und hastete weiter. Was hätte Hank Williams getan? Sich kopfüber in den nächsten Drink gestürzt. Und Sid Vicious? Der hätte ihm den Finger gezeigt und wäre abgehauen. Und Elvis? Elvis. Elvis Presley. Klar. Bjorn Holm schnappte sich seinen Revolver.
Er erreichte den letzten Treppenabsatz, öffnete die Tür und sah Harry mit dem Rücken zur Wand neben einer braunen Tür stehen. Er hatte die Dienstwaffe in der einen Hand und hielt die andere hoch. Der Zeigefinger lag auf seinen Lippen, während er Bjorn ansah und auf die Tür deutete. Sie stand einen Spaltbreit offen.
“Wir gehen Zimmer für Zimmer vor”, flüsterte Harry, als Bjorn zu ihm aufgeschlossen hatte. “Du nimmst die linke Seite, ich die rechte. Im gleichen Tempo, Rücken an Rücken. Und vergiss nicht zu atmen.”
“Warte! “, flüsterte
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