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Schneemann

Schneemann

Titel: Schneemann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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mitgeteilt, dass sich die Signale nach Süden bewegen. Ort und Geschwindigkeit sprechen für den Zug nach Kopenhagen, der hier in Oslo um fünf nach sieben losgefahren ist. Ich hab schon mit der Polizei in Helsingborg gesprochen, die brauchen für die Festnahme aber ein formelles Amtshilfegesuch. Der Zug ist in einer halben Stunde da. Was sollen wir machen?”
    Harry nickte langsam, wie zu sich selbst. Eine Möwe segelte auf steifen Schwingen vorbei, ehe sie plötzlich die Richtung änderte und Kurs auf die Bäume im Park nahm. Vielleicht hatte sie etwas erblickt. Oder sich einfach anders entschieden. Wie manche Menschen auch. Hauptbahnhof Oslo, sieben Uhr morgens.
    “Harry? Sie kann es nach Dänemark schaffen, wenn wir nicht bald … “
    “Hagen soll mit Helsingborg reden”, ordnete Harry an, drehte sich abrupt um und nahm seine Jacke vom Garderobenständer.
    Skarre starrte dem Hauptkommissar entgeistert nach, als dieser mit langen, federnden Schritten über den Flur verschwand.
    Kommissar 0m von der Waffenausgabe des Präsidiums starrte den kahlgeschorenen Hauptkommissar sichtlich überrascht an. “CS? Gas? Meinen Sie das ernst?”
    “Zwei Dosen”, wiederholte Harry, “und eine Schachtel Munition für den Revol ver.”
    0m hinkte fluchend ins Lager. Dieser Hole war total verrückt, das war bekannt, aber was wollte er denn jetzt mit Tränengas? Wenn ein anderer danach gefragt hätte, hätte er sicher an irgendwelche Gags für Junggesellenpartys gedacht. Aber soweit er wusste, hatte dieser Hole keine Kumpels, die ihn einladen konnten. Auf jeden Fall nicht unter den Kollegen.
    Der Hauptkommissar räusperte sich, als 0m zurückkam: “Hat Katrine Bratt vom Dezernat für Gewaltverbrechen hier irgendwelche Waffen bezogen?”
    “Die Dame aus Bergen? Nur die, die sie vorschriftsmäßig tragen soll.”
    “Und was sagt die Vorschrift?”
    “Dass man sämtliche Waffen und unbenutzte Munition auf der alten Dienststelle abgibt und dann auf der neuen einen frischen Revolver und zwei Schachteln Munition bekommt.”
    “Dann hat sie also keine schwereren Waffen als einen Revolver?” 0m schüttelte überrascht den Kopf.
    “Danke”, sagte Hole und legte die Patronenschachteln in die schwarze Tasche neben die grünen Dosen mit dem nach Pfeffer stinkenden Tränengas, das Corso und Stoughton 1928 zusammengebraut hatten.
    Om antwortete nicht. Erst als Harry die Ausgabe quittierte, murmelte er: ” Einen schönen Sonntag noch.”
    Harry saß im Warteraum des Ulleval-Krankenhauses, neben sich seine schwarze Tasche. Es roch süßlich nach Alkohol, alten Menschen und langsamem Tod. Eine Patientin hatte ihm gegenüber Platz genommen und starrte ihn an, als versuchte sie, etwas zu finden, das nicht da war; eine Person, die sie kannte, einen lieben Menschen, der nie kam, einen Sohn, den sie zu erkennen glaubte.
    Harry seufzte, sah auf die Uhr und stellte sich vor, wie jetzt der Zug vor Helsingborg gestürmt wurde. Höchstwahrscheinlich wurde der Lokführer aufgefordert, einen Kilometer vor dem Bahnhof zu halten. Bewaffnete Polizisten standen mit Hunden auf beiden Seiten der Schienen bereit, ehe die effektive Durchsuchung der Wagen, Abteile und Toiletten begann. Harry sah vor seinem inneren Auge die Gesichter der entsetzten Passagiere, die bei dem ungewohnten Anblick bewaffneter Polizei zusammenzuckten man lebte schließlich im glücklichen Skandinavien. Die zitternden Hände der Frauen, wenn sie in ihren Handtaschen nach dem Ausweis suchten. Die Ernsthaftigkeit der Polizisten, ihre Nervosität, aber auch ihre Erwartungen. Ihre Ungeduld, ihre Zweifel, ihr Ärger und schließlich ihre Enttäuschung, wenn sie nicht fanden, was sie suchten. Und zu guter Letzt - so sie denn Glück hatten - das Fluchen und Schimpfen, wenn sie auf die Quelle der Signale stießen, die die Basisstation auffing: Katrine Bratts Handy in einem Mülleimer auf der Toilette.
    Ein lächelndes Gesicht tauchte vor ihm auf. “Sie können jetzt zu ihm.”
    Harry folgte den klappernden Holzsohlen und den breiten, energischen Hüften in den weißen Hosen. Sie hielt ihm die Tür auf: “Aber nicht zu lange, er braucht Ruhe.”
    Stäle Aune lag in einem Einzelzimmer. Sein sonst so rundliches, rotwangiges Gesicht war eingesunken und blass, so dass es sich kaum mehr vom Kopfkissenbezug abhob. Schüttere Haarsträhnen klebten auf seiner Stirn. Wäre da nicht dieser scharfe, umherirrende Blick gewesen, hätte Harry geglaubt, den Leichnam des Polizeipsychologen und seines

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