Schneemann
im Halbdunkel hinter ihm erblickte Helle einen dunkelhaarigen jungen Mann.
Thomas Helle entschloss sich, es gleich auf dem Flur hinter sich zu bringen. Sie hatten an diesem Tag kaum genug Leute, um das Telefon besetzt zu halten, es war Sonntag, und fast die gesamte Belegschaft war auf der Suche nach Katrine Bratt. Jemand aus den eigenen Reihen. Es war zwar noch alles geheim, aber es kursierten Gerüchte, dass sie etwas mit diesem Schneemann-Fall zu tun hatte.
“Wie haben Sie bemerkt, dass sie weg ist? “, fragte Helle und zückte den Notizblock.
“Trygve und ich sind heute von einer Angeltour in der Nordmarka zurückgekommen. Wir waren zwei Tage weg. Ohne Handy. Als wir zurückkamen, war sie nicht hier, und sie hat uns auch keine Nachricht hinterlassen. Außerdem war die Tür offen, aber das habe ich Ihnen ja schon am Telefon gesagt. Sie hat sonst immer abgeschlossen, auch wenn sie zu Hause war. Meine Frau ist sehr ängstlich. Von ihrer Kleidung fehlt nichts, nur die Pantoffeln. Und das bei diesem Wetter … “
“Haben Sie alle Ihre Bekannten angerufen? Inklusive der Nachbarn?”
“Natürlich. Aber es hat keiner etwas von ihr gehört. ” Thomas Helle notierte, aber es hatte sich bereits ein Gefühl gemeldet, ein altbekanntes Gefühl. Verschwundene Hausfrau und Mutter.
“Sie meinten, Ihre Frau sei ziemlich ängstlich”, sagte er in betont unverfänglichem Ton. “Wem hätte sie die Tür geöffnet? Oder wen hätte sie hereingelassen?”
Er sah Vater und Sohn einen Blick wechseln.
“Nicht viele”, antwortete der Vater entschieden. “Nur Leute, die sie kennt.”
“Oder vielleicht auch jemanden, von dem sie sich nicht bedroht fühlt”, schlug Helle vor. “Eine Frau oder ein Kind vielleicht?” Andreas Kvale nickte.
“Oder jemanden, der eine plausible Erklärung dafür hatte, hereinzukommen. Jemand von den Stadtwerken vielleicht?”
Der Ehemann zögerte. “Möglich.”
“Ist Ihnen rund ums Haus irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen? “
“Ungewöhnlich? Wie meinen Sie das?”
Helle biss sich auf die Unterlippe. Nahm Anlauf. “So etwas wie … ein Schneemann vielleicht?”
Andreas Kvale sah zu seinem Sohn, der energisch, fast ängstlich den Kopf schüttelte.
“Nur damit wir das ausschließen können”, fügte Helle erleichtert hinzu.
Der Sohn murmelte etwas. “Was?”, fragte Helle nach.
“Mein Sohn meinte, es liege ja auch kein Schnee mehr”, wiederholte der Vater.
“Stimmt, ja.” Helle steckte den Notizblock in die Jackentasche. “Wir geben die Fahndung an alle Streifenwagen. Wenn sie bis heute Abend nicht aufgetaucht ist, werden wir die Suche intensivieren. Mit neunundneunzigprozentiger Wahrscheinlichkeit ist sie dann aber bereits wieder da. Hier ist meine Visitenkarte mit meiner … “
Helle spürte Andreas Kvales Hand auf seinem Oberarm.
“Da ist noch etwas, was ich Ihnen zeigen muss, Herr Kommissar.”
Thomas Helle folgte Kvale durch eine Tür am Ende des Flurs, die über eine Treppe in den Keller führte. Er öffnete eine Tür zu einem Raum, in dem es nach Seife und frischer Wäsche roch. In der Ecke stand eine alte Schleuder neben einer Electrolux-Waschmaschine älteren Jahrgangs. Der Boden senkte sich in der Mitte zu einem Abfluss ab. Er war nass, und auch die eine Wand war feucht, als wäre der Boden erst kürzlich mit dem grünen Schlauch abgespritzt worden, der dort lag. Aber nicht das hatte Thomas Helles Aufmerksamkeit geweckt. Es war vielmehr das Kleid, das mit Wäscheklammern an der Leine befestigt war. Oder besser gesagt, das, was davon noch übrig war. Es war unmittelbar unter der Brust abgetrennt. An den unebenen, schwarzen Schnittflächen entdeckte man bei genauerem Hinsehen die zusammengezogenen, verbrannten Baumwollfäden.
KAPITEL 29
20. Tag. Tränengas
Der Regen troff nur so auf Bergen, das in blauer Nachmittagsdämmerung ruhte. Das Boot, das Harry bestellt hatte, lag schon am Fuß der Puddefjordsbrücke bereit, als Harrys Taxi vor der Charterstelle hielt.
Es war ein häufig benutzter, sechs Meter langer finnischer Cabincruiser.
“Ich will zum Fischen”, antwortete Harry und zeigte auf die Seekarte. “Irgendwelche Schären oder sonst etwas, das ich beachten müsste, um hier hinzukommen?”
“Finnoy?”, fragte der Verleiher. “Da sollten Sie eine Pilk-und eine Spinnrute mitnehmen. Aber da draußen ist es generell nicht so gut zum Angeln. “
“Warten wir’s ab. Wie startet man diese Maschine?”
Als Harry an Nordneset
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