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Schneemann

Schneemann

Titel: Schneemann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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nicht sabotiert hat. Das kann darauf hindeuten, dass sie sich selbst unter Verdacht hatte und wirklich die Wahrheit herausfinden wollte. Was weigt du über Noktambulismus, also über das Schlafwandeln?”
    “Ich weiß, dass Leute im Schlaf laufen können, reden, essen, sich anziehen und sogar schlafend Auto fahren.”
    “Richtig. Der Dirigent Harry Rosenthai dirigierte und sang die Stimmen aller Instrumente einer ganzen Symphonie im Schlaf. Und es gibt mindestens fünf Mordfälle, bei denen die Täter freigesprochen wurden, weil das Gericht der Meinung war, der oder die Schuldige leide unter Parasomnie, also unter Schlafstörungen. Es gab da vor ein paar Jahren mal einen Mann in Kanada, der ist in der Nacht aufgestanden, hat sich ins Auto gesetzt, ist mehr als zwanzig Kilometer gefahren, hat den Wagen geparkt, seine Schwiegermutter getötet, zu der er eigentlich ein ausgezeichnetes Verhältnis hatte, und hätte seinen Schwiegervater fast auch noch erwürgt, ehe er wieder nach Hause fuhr und sich wieder ins Bett legte. Er wurde freigesprochen.”
    “Du meinst, sie kann im Schlaf getötet haben? Dass sie parasomnisch veranlagt sein könnte?”
    “Das ist eine kontroverse Diagnose. Aber stell dir eine Person vor, die in gewissen Abständen in eine Art Dämmerzustand verfällt und sich anschliegend nicht daran erinnert, was sie getan hat. Jemand, der ein unklares, fragmentarisches Bild von den Geschehnissen hat, wie nach einem Traum.”
    “Hm.”
    “Und stell dir weiter vor, dass sie im Laufe der Ermittlungen erkannt hat, was sie getan hat.”
    Harry nickte langsam: “Und dann geht ihr auf, dass sie einen Sündenbock braucht, um ihre Haut zu retten.”
    “Das ist denkbar.” Stille Aune schnitt eine Grimasse. “Aber was die menschliche Psyche angeht, ist ja fast alles denkbar. Das Problem ist, dass wir die Krankheiten, über die wir reden, nicht sehen können, wir müssen anhand der bloßen Symptome von ihrer Existenz ausgehen.”
    ” Wie beim Schimmel.” “Was?”
    “Was kann der Auslöser dafür sein, dass Menschen derart psychisch krank werden wie diese Frau?”
    Aune stöhnte. “Alles! Und nichts! Gene und Kindheit.” “Ein alkoholabhängiger, gewalttätiger Vater?”
    “Ja, ja! Neunzig Punkte für dich. Wenn du dann noch eine Mutter mit einer gewissen Karriere in der Psychiatrie hinzufügst und ein oder zwei traumatische Erlebnisse in der frühen Kindheit, hast du die volle Punktzahl.”
    “Aber ist es wahrscheinlich, dass sie den Wunsch hat, ihrem Vater zu schaden, ihn zu töten, wenn sie ihn kräftemäßig überflügelt hat?”
    “Auch das ist nicht ausgeschlossen. Ich erinnere mich an einen Fall … ” Stille Aune hielt abrupt inne. Starrte Harry an. Dann beugte er sich vor und flüsterte mit wild glänzenden Augen: “Habe ich dich richtig verstanden, Harry? Willst du damit sagen, dass … ?”
    Harry Hole studierte seine Nägel. “Ich habe neulich ein Bild von einem Mann im Präsidium in Bergen zu Gesicht bekommen. Er kam mir seltsam bekannt vor, als hätte ich ihn schon einmal getroffen. Ich weiß erst jetzt, warum. Das war die Familienähnlichkeit. Katrine Bratts Mädchenname ist Rafto. Gert Rafto war ihr Vater.”
     
    Harry erhielt den Anruf von Skarre, als er auf dem Weg zum Flughafenzug war. Er hatte sich geirrt, sie hatten das Handy nicht auf der Toilette gefunden, sondern auf der Gepäckablage in einem der Abteile.
    Achtzig Minuten später war er ringsherum von Grau umhüllt.
    Der Pilot meldete eine niedrige Wolkendecke und Regen über Bergen. Keine Sicht, dachte Harry. Jetzt flogen sie nur noch mit Autopilot.
     
    Thomas Helle von der Vermisstenstelle der Polizei hatte gerade erst den Klingelknopf über dem Türschild mit den Namen Andreas, Eli und Trygve Kvale gedrückt, als auch schon die Tür der Villa aufgerissen wurde.
    “Gott sei Dank konnten Sie so schnell kommen.” Der Mann, der vor Helle stand, blickte ihm über die Schulter und fragte. “Wo sind die anderen?”
    “Ich bin allein. Sie haben noch immer nichts von Ihrer Frau gehört?”
    Der Mann, in dem Helle den Andreas Kvale vermutete, der bei der Polizei angerufen hatte, starrte ihn entgeistert an. “Aber sie ist weg, das habe ich doch gesagt.”
    “Das wissen wir, aber häufig kommen sie ja auch wieder zurück.”
    “Wer sie?”
    Thomas Helle seufzte: “Könnten wir vielleicht ins Haus gehen, Herr Kvale. Es regnet … “
    “Oh, Entschuldigung. Bitte sehr.” Der etwa fünfzigjährige Mann trat zur Seite, und

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